Zaudern der mächtigsten Länder Klimapleite in der Corona-Krise
Die mächtigsten Wirtschaftsnationen der G-20 versprachen, ihre Aufbauprogramme am Klimaschutz auszurichten. Die Zahlen zeigen eine andere Entwicklung.

Eigentlich hätte es die grosse Chance der Corona-Krise sein sollen. Das Bündnis der mächtigsten Wirtschaftsnationen, die G-20, hatte ein riesiges Förderpaket geschnürt, um die Rezession durch die Covid-19-Pandemie abzufedern. Mindestens 14 Billionen Dollar flossen in Wiederaufbauprogramme oder sind budgetiert seit Ausbruch der Pandemie.
Die internationale Energieagentur (IEA) hatte im März 2020 dazu aufgerufen, den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen zum «Herzstück» des wirtschaftlichen Wiederaufbauprogramms zu machen. Auch die Klimaforscher sahen die grosse Chance für eine neue Phase im weltweiten Klimaschutz. Der Weltklimarat IPCC forderte letzte Woche in einem neuen Bericht, in den nächsten Jahren die Weichen zu stellen. Die Klimaziele von Paris seien nicht zu erreichen, wenn nun nicht jede Entscheidung, sei es zu Infrastrukturen, Energieversorgung oder Landwirtschaft, unter dem Aspekt des Klimaschutzes getroffen werde.

Die neuste Analyse einer Forschergruppe der amerikanischen Johns Hopkins University gibt derzeit jedoch noch wenig Anlass zur Hoffnung: Nur 6 Prozent – etwa 860 Milliarden – der Fördergelder der G-20-Staaten wurden in Programme investiert, welche die Emissionen der Treibhausgase reduzierten; zum Beispiel in die Elektromobilität, in energieeffiziente Gebäude oder die Förderung erneuerbarer Energie. 3 Prozent der Investitionen in Wiederaufbauprogramme hatten sogar den Effekt, weitere Emissionen zu produzieren, zum Beispiel durch die Subventionierung der Kohleindustrie.
Das meiste Geld sei mit Recht in die kurzfristige Verstärkung der Gesundheitssysteme, für die Ausbezahlung von Löhnen und in soziale Projekte investiert worden, schreiben die Forscher in einem Kommentar im eben veröffentlichten Fachmagazin «Nature». Doch die G-20-Staaten hätten eben auch versprochen, in grossem Stil auf eine «grüne Zukunft» zu setzen.
«Die Investitionsrate reicht bei weitem nicht, um diese Emissionsziele zu erreichen.»
Argumente dafür liefert der Weltklimarat IPCC, dessen Berichte schliesslich auch Basis für den Pariser Klimavertrag waren. Die Forschungsergebnisse werden zudem stets von den Vertragsstaaten des Abkommens abgesegnet. Die Szenarien der Klimaforscher: Die Erderwärmung bleibt nur dann deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, wenn die globalen Treibhausgasemissionen noch in den 2020er-Jahren zu sinken beginnen und in den 2050er-Jahren netto null erreichen. Bis jetzt ist der Emissionstrend allerdings nach wie vor positiv. In fast allen Szenarien (ausser dem schlimmsten) wird die für viele Ökosysteme kritische 1,5-Grad-Marke schon in den frühen 2030er-Jahren erreicht.
Die Investitionsrate reiche bei weitem nicht, um diese Emissionsziele zu erreichen, schreiben die Forscher der Johns Hopkins University. Sie nehmen Bezug auf eine frühere Studie in der Fachzeitschrift «Science», die davon ausgeht, dass es in den nächsten fünf Jahren eine jährliche Investitionsrate von 1,4 Billionen Dollar braucht, um auf den Pfad der Klimaziele zu gelangen. Anfang dieses Jahres hätten die Regierungen mehr klimaschonende Projekte investiert als in der besagten Covid-19-Periode von 2020 und 2021, aber das sei ein Neuntel dessen, was notwendig sei, so die Autoren.

Die Forscher fokussierten auf die G-20-Staaten, weil diese mehr als 80 Prozent der globalen Treibhausgase produzieren und 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft abdecken. Sie untersuchten dabei, wie die Regierungen ihre steuerlichen Fördergelder im Rahmen des jeweiligen Covid-19-Stimulusprogramms einsetzten, und schätzten ab, ob die Investitionen einen Klimaeffekt haben können, sprich Emissionen reduzieren. Darunter gehören der Bau von Windenergieanlagen oder Gebäudesanierungen mit Wärmedämmungen. Es gehörten aber auch Massnahmen dazu, die zu einem anderen, klimabewussteren Flugverhalten führen. Andererseits waren auch Regelungen dabei, welche die Emissionen erhöhten wie zum Beispiel die Senkung der Erdölsteuer.
Ebenso wollten die Forscher wissen, ob die Massnahmen zu einem kurzfristigen oder langfristigen Klimaeffekt führten. Dafür sichteten sie auch Medienmitteilungen der Regierungen, Gesetzestexte und offizielle Statements. Sie zählten in ihrer Analyse nur Vorhaben, die direkt mit der Pandemie zu tun haben. Dazu gehört zum Beispiel eine Kampagne in Frankreich, etwa 66 Millionen Dollar in Veloparkplätze und Reparaturdienste zu investieren. Während der Krise setzten viele auf das Fahrrad, weil sie dem öffentlichen Verkehr fernbleiben wollten. Anders hingegen in Indien. Die Regierung unterstützte während des Lockdown die Kohleindustrie mit 14 Milliarden Dollar. Damit modernisierten Minenunternehmen ihre Infrastruktur und senkten den Kohlepreis.
Forschung wenig unterstützt
Nur knapp 11 Milliarden, 1 Prozent der Klimagelder, flossen in die Forschung und Entwicklung neuer technologischer Innovationen. Südkorea etwa investierte in die Entwicklung von Kohlendioxid-Abscheidern, Australien in die Wasserstoffforschung. Doch insgesamt ist der Betrag bescheiden für diese Wirtschaftsmächte. Zum Vergleich: Der Forschungsbetrag entspricht etwa dem Budget der amerikanischen National Science Foundation – Pendant zum Schweizerischen Nationalfonds – für dieses Jahr.
Das Covid-19-Investitionsprogramm zugunsten des Klimaschutzes ergibt ein ähnliches Bild wie in der internationalen Klimapolitik. Das Engagement ist deutlich unterschiedlich. Hier haben wir die EU und Südkorea, die mehr als 30 Prozent des steuerlichen Stimulus in Vorhaben investierten, die zu Emissionsreduktionen führen. Das taten sie bereits nach der Finanzkrise 2008.
Dort sind Indien, China und Südafrika, die einen entgegengesetzten Weg gingen. Die chinesische Regierung verbilligte während der Pandemie 2020 den Strompreis um 5 Prozent und verlangte von den Kohlenminen, die Produktion zu erhöhen, um den Preis zu stabilisieren. Indien verschob den Fälligkeitstermin für die Modernisierung der Kohlekraftwerke. Und Südafrika steckte mehr als 11 Milliarden in Abnahmegarantien von Strom vorwiegend für Kohlekraftwerke.

Für die Wissenschaftler überraschend ist: Die Investitionspakete der USA, Japans, Kanadas und Grossbritanniens, insgesamt doch mehr als 8 Billionen Dollar, waren so ausgelegt, dass sie auf den Klimaschutz praktisch keinen Einfluss hatten.
Warum haben die wirtschaftsstarken Nationen die Chance, in grüne Aufbauprogramme zu investieren, nicht genutzt? Ist nach wie vor die Sichtweise verbreitet, Wirtschaftswachstum lasse sich mit Umwelt- und Klimapolitik nicht vereinen? Die Wissenschaftler der Johns Hopkins University sehen einen Grund in der Pandemiekrise selbst: Sie ist schlimmer als die Rezession 2008 und bringt zusätzlich ganz andere Probleme mit sich. Die Welt musste kurzfristig eine Gesundheitskrise abwenden und gleichsam einen totalen Absturz der Wirtschaft verhindern. Andererseits hatte China bereits nach der Wirtschaftskrise 2009 massiv in saubere Energie investiert und sah möglicherweise kein weiteres Bedürfnis. In den USA blockiert der Kongress die ehrgeizige Klimaagenda von Präsident Biden.
Es sei immer noch Zeit für Korrekturen, schreiben die Autoren. Erneuerbare Energie ist ein Wachstumsmarkt. Rund 366 Milliarden Dollar wurden gemäss den Analysten von Bloomberg 2021 in diesen Markt investiert, 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energie (Irena) schätzt, das inzwischen mehr als 12 Millionen Menschen weltweit in der Industrie für erneuerbare Energie arbeiten. Dabei sind wir erst am Anfang.
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