Urteil des BundesstrafgerichtsKlimaaktivisten nach Aufruf zur Dienstverweigerung freigesprochen
Wegen eines Aufrufs zum Militärboykott brachte die Bundesanwaltschaft drei Klimaschützer vor das Bundesstrafgericht. Dieses hat die jungen Männer nun freigesprochen.
«Umweltschädlich, nationalistisch und teuer» sei die Armee. Darum müsse man sie entweder reformieren oder abschaffen. Das schreiben drei junge Waadtländer Männer im Mai 2020 in einem Brief an den Bundesrat, das Verteidigungsdepartement und die Armeespitze. Und weiter: Aus «Gründen der Ethik» und der «ökologischen Verantwortung» seien sie nicht länger bereit, Militärdienst zu leisten und die Wehrpflichtersatzabgabe zu zahlen. Ihren Brief publizieren sie auch auf einer Website des Klimastreiks. Wegen des Briefs erhob die Bundesanwaltschaft (BA) Anklage. Die Frage, ob die Aktivisten selbst die Wehrpflichtersatzabgabe am Ende verweigerten, spielte dabei keine Rolle.
Der Fall kam Anfang Mai vor das Bundesstrafgericht in Bellinzona. Am Donnerstag hat das Gericht das Urteil den Klimaaktivisten mündlich eröffnet. Es hat die Angeschuldigten freigesprochen und jedem Angeschuldigten eine Parteientschädigung zwischen 12’000 und 15’000 Franken für die entstandenen Anwaltskosten zugesprochen. Anders als die Bundesanwaltschaft sieht das Bundesstrafgericht davon ab, die Aktivisten wegen der «Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten» zu verurteilen. Die BA hingegen hatte im Dezember 2022 die Aktivisten noch mit einer Busse von 300 Franken, einer bedingten Strafe von 1200 Franken und 2800 Franken Verfahrenskosten belangt.
Der Lausanner Anwalt David Raedler sieht sich nach dem Urteil in seinem Eindruck bestätigt, dass die BA unverhältnismässig mit seinem Klienten Loïc B. und den beiden mitangeklagten Klimaaktivisten umgegangen sei. Gemäss Raedler ist das Gericht zum Schluss gekommen, dass bei zwei der drei Angeschuldigten die Bedingungen für den Straftatbestand der «Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten» zwar erfüllt sind, dass aber in keinem Moment weder eine «konkrete» noch eine «abstrakte Gefahr» für die Armee bestand.
Noch liegt die Begründung des Urteils nicht schriftlich vor. Laut Raedler hat das Gericht klargemacht, dass es im aktuellen politischen Kontext auf der Grundlage der Meinungsäusserungsfreiheit möglich sein müsse, das Militär zu kritisieren, sofern dies mit friedlichen Mitteln geschehe. Das Gericht habe zudem betont, Klimaaktivisten übten in einem demokratischen Staat eine ähnliche Kontrollfunktion aus wie Journalisten. Bei einem der Angeklagten entschied das Gericht sogar, dass die Vorbedingungen für eine Anklage schlicht nicht erfüllt seien, das heisst, dass die BA eine Bestrafung gar nie hätte in Erwägung ziehen dürfen.
Aktivist Loïc B. sagte, er sei erleichtert über das Urteil. Es sei wichtig zu wissen, dass man die Armee kritisieren dürfe, ohne gleich eine Straftat zu begehen. Das Verfahren habe ihn «einiges an Zeit und Energie gekostet». Dies habe dazu geführt, dass er seltener öffentlich für den Klimaschutz demonstriert habe, so Loïc B.
Bundesanwaltschaft reagierte spät, dann aber heftig
Der Fall hat auch wegen der Strafuntersuchung für Aufsehen gesorgt. Die BA reagierte erst ein Jahr nach dem Versand des Schreibens, dann aber heftig. Sie ordnete Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen an und führte umfangreiche Einvernahmen durch. Im Hintergrund hatte der SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor Druck auf die BA ausgeübt, ein Verfahren zu eröffnen. Er war es, der bei der BA Anzeige erstattete.
Um wegen des Straftatbestands «Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten» gegen die drei Klimaaktivisten ermitteln zu können, brauchte die BA die Ermächtigung von Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP). Addor war vor seiner Strafanzeige bereits mit einer Anfrage an den Gesamtbundesrat gelangt und hatte diesen aufgefordert, zum Brief der Klimaaktivisten Stellung zu nehmen. Die Regierung antwortete Addor am 8. Juni 2020: «Der Bundesrat hat als Reaktion auf diesen offenen Brief keine Beschwerde bei der Bundesanwaltschaft eingereicht und beabsichtigt auch nicht, dies zu tun. Die in der Bundesverfassung garantierte Meinungsfreiheit und die Strafbarkeit müssen in jedem Einzelfall abgewogen werden.» Das Bundesstrafgericht stützt mit seinem Urteil nun auch die Haltung des Gesamtbundesrats.
BA-Sprecherin Linda von Burg sagt auf Anfrage: «Die Bundesanwaltschaft hat das Urteil zur Kenntnis genommen.» Das Gericht habe damit erstinstanzlich einen wichtigen Anhaltspunkt gegeben, wie mit diesem Straftatbestand umzugehen sei. Gemäss der BA-Sprecherin handelt es sich «um einen Tatbestand, welcher extrem selten zur Anwendung kommt und zu welchem es keine aktuelle Rechtsprechung gab.» So sei im vorliegenden Fall «in der Öffentlichkeit auch darüber diskutiert worden, ob der Straftatbestand heute noch sinnvoll und zeitgemäss ist.» Diese Frage könne sich aber «nicht die Bundesanwaltschaft stellen, sondern ist vom Gesetzgeber zu beantworten, auch vor dem Hintergrund dieses Urteils», so Linda von Burg.
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