Interview zu Klimaprojekten«Besorgniserregend»: So viel Greenwashing steckt in CO₂-Zertifikaten
Die Schweiz, Unternehmen und Privatpersonen kaufen sie, um Emissionen zu kompensieren. Doch die Massnahmen sind oft nahezu wirkungslos, wie eine umfassende Studie zeigt.
- Viele CO₂-Zertifikate führen nicht zu echten Emissionsreduktionen.
- Nur etwa 16 Prozent der Zertifikate bewirken tatsächliche Einsparungen.
- Windkraftprojekte sparen kein zusätzliches CO₂ ein, zeigen Forschende.
- Strengere Standards für CO₂-Zertifikate werden dringend benötigt.
CO₂-Zertifikate werden verwendet, um die Emissionen eines Landes wie der Schweiz oder eines Unternehmens teilweise auszugleichen. Auch private Flüge sollen damit angeblich klimaneutral möglich sein. Die Idee dahinter ist, dass zum Beispiel der Schutz von Wäldern oder der Bau von Windkraftanlagen CO₂-Emissionen vermeidet. Das eingesparte CO₂ kann dann einem Land, einer Firma oder einer Person gutgeschrieben werden. Dazu kauft dieses Land, Unternehmen oder die Person CO₂-Zertifikate, mit denen solche Projekte unterstützt werden. Dies soll Ländern wie der Schweiz helfen, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen.
Benedict Probst, der das Net Zero Lab am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München leitet und auch an der ETH-Zürich und der Universität Cambridge forscht, hat den Nutzen von solchen CO₂-Zertifikaten nun zusammen mit einem internationalen Team systematisch untersucht. Darüber berichten die Forschenden im Fachmagazin «Nature Communications».
Herr Probst, sind bei der aktuell laufenden Klimakonferenz COP29 in Baku auch CO₂-Zertifikate ein Thema?
Ja. In Baku werden die akzeptierten Mechanismen zur Kompensation von CO₂-Emissionen verhandelt. Demnach ist es grundsätzlich legitim, wenn Länder Klimaschutzmassnahmen in anderen Ländern finanzieren und sich das beim eigenen Klimaschutz anrechnen lassen.
Ist das ein Problem?
Unsere Studie wirft ein kritisches Licht auf CO₂-Kompensationsprojekte, wie sie auch im Rahmen des geplanten neuen Mechanismus zur Kompensation von CO₂-Emissionen diskutiert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gefahr besteht, dass Projekttypen mit nachweislich geringer Wirksamkeit auch in neue Mechanismen übernommen werden.
Was haben Sie dazu herausgefunden?
Unsere Studie zeigt, dass weniger als 16 Prozent der ausgegebenen CO₂-Zertifikate echte Emissionsreduktionen bewirken. Das heisst: Nur eines von sechs Zertifikaten spart tatsächlich Emissionen ein. Die Analyse umfasst ein Fünftel des bisher ausgestellten Kreditvolumens, fast eine Milliarde Tonnen CO₂.
Dass Waldschutzprojekte wenig bringen, ist ja schon seit einigen Jahren bekannt. Was ist wirklich neu an Ihren Ergebnissen?
Wir zeigen, dass auch viele andere Methoden die Emissionsreduktionen systematisch überschätzten, etwa die Förderung von Windparks, die Förderung von energieeffizienten Kochöfen oder ein verbessertes Waldmanagement. Die tatsächlichen Emissionsreduktionen liegen durch die Bank weit unter dem, was die ausgestellten CO₂-Zertifikate versprechen. Das ist ein sehr besorgniserregendes Resultat.
Weshalb?
Wenn Unternehmen diese Zertifikate verwenden, um ein angeblich klimaneutrales Produkt zu verkaufen, dann ist dieses Produkt eben nicht klimaneutral. Wenn diese Klimaschutzmassnahmen gar nicht so effektiv sind, wie sie vorgeben zu sein, dann kann das dazu führen, dass die Klimaziele besonders in Ländern des globalen Nordens wie der Schweiz stark verwässert werden.
Für wie wirksam halten Sie denn die verschiedenen Projekte zur CO₂-Kompensation?
Am besten schneiden chemische Projekte wie die Vermeidung von Fluoroform-Emissionen ab. Fluoroform ist ein potentes Treibhausgas, das unter anderem als Nebenprodukt bei der Produktion von Kühlmitteln für Kühlschränke entsteht. Projekte, um Fluoroform zu vermeiden, erreichen immerhin fast 70 Prozent der versprochenen Reduktionen. Bei Waldschutzprojekten sind es hingegen nur 25 Prozent. Und ein besseres Waldmanagement sowie die Förderung von Windkraftanlagen vermeiden keinerlei CO₂-Emissionen.
Windkraftanlagen sparen keine CO₂-Emissionen ein?
Doch. Aber diese Windkraftanlagen wären ohnehin gebaut worden, auch ohne die Förderung durch den Verkauf von CO₂-Zertifikaten. Das konnten wir zum Beispiel bei Windkraftanlagen in China zeigen. Windkraftprojekte sparen also kein zusätzliches CO₂ ein, ein wichtiges Kriterium für die Qualität der Kompensationsprojekte.
Wie lässt sich das schlechte Abschneiden bei den anderen Projekten erklären?
Häufig versuchen die Entwickler von solchen Projekten, die Ausschüttung von CO₂-Zertifikaten zu maximieren. So besteht die Gefahr, dass mehr CO₂-Zertifikate verkauft werden, als CO₂ eingespart wird. Oft wird das CO₂-Vermeidungspotenzial auch mit veralteten Methoden bestimmt. Diese Berechnungen sind dann schlicht falsch. Problematisch ist auch, dass viele Projekte die Emissionen nur für kurze Zeit einsparen.
Während eine Tonne fossiles CO₂ in der Regel Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende in der Atmosphäre bleibt.
Genau. Ein Kompensationsprojekt muss daher sicherstellen, dass die Emission von CO₂ dauerhaft vermieden wird. Bei vielen CO₂-Zertifikaten ist das nicht der Fall. Sie sind also nicht geeignet, um fossile Emissionen zu kompensieren.
Nutzt auch die Schweiz fragwürdige CO₂-Zertifikate?
Die Schweiz möchte einen Teil ihrer Emissionen über Klimaschutzprojekte im Ausland kompensieren, unter anderem mithilfe der Förderung von effizienten Kochöfen. Diese benötigen weniger Holz als traditionelle Öfen und sollten daher das Abholzen von Wald reduzieren. Doch gemäss unserer Studie lieferten diese Projekte zumindest bisher nur rund ein Zehntel der CO₂-Kompensation, die sie versprechen. Oft hat das mit den Berechnungsmethoden zu tun und damit, dass die alten Öfen zusätzlich weiterverwendet werden. Daneben kaufen auch viele Schweizer Unternehmen Zertifikate und versprechen dann, ihre Produkte seien klimaneutral. Auch da kommen teils fragwürdige Zertifikate zum Einsatz, etwa solche aus erneuerbaren Energien. Und ein Ferienflug, der mit solchen CO₂-Zertifikaten kompensiert wird, dürfte kaum klimaneutral sein.
Wird in Baku versucht, diese Praxis zu verbessern?
Es soll nachgebessert werden. Das Problem ist, dass sich viele untaugliche Projekte, die beim bisherigen Kompensationsmechanismus anerkannt waren, auch um eine Zulassung beim neuen CO₂-Handelssystem bewerben. Das betrifft beispielsweise CO₂-Zertifikate aus Windkraftanlagen. Sollte es dazu kommen, wäre das keine gute Nachricht für den globalen Klimaschutz.
Was tun die Firmen, die solche Zertifikate anbieten?
Vielen Anbietern ist mittlerweile bewusst, dass es Nachbesserungen braucht, also strengere Standards, konservativere Annahmen beim CO₂-Vermeidungspotenzial und eine bessere wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit. Einige Anbieter lassen bereits keine Projekte mehr zu, die auf erneuerbaren Energien basieren. Zudem entsteht neben diesem klassischen Zertifikatemarkt, der mittels CO₂-Vermeidung und CO₂-Reduktion funktioniert, ein neuer Markt. Dieser setzt auf die nachhaltige Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre. Bisher gibt es aber nur vergleichsweise wenig derartige Projekte. Ein Beispiel für diesen neuen Markt sind die Aktivitäten der Schweizer Firma Climeworks, die mithilfe grosser Filter CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und das Gas im Untergrund lagert.
Ist hierbei garantiert, dass das CO₂ Hunderte bis Tausende Jahre im Untergrund verbleibt?
Ich würde zumindest sagen, dass man hier deutlich sicherer sein kann als bei den anderen Projekten. Meiner Einschätzung nach sind derartige Projekte weniger anfällig für eine falsche Schätzung der CO₂-Entfernung. Das Problem ist nur, dass diese Zertifikate sehr teuer sind. Aber wenn es letztlich darum geht, Netto-null-Emissionen zu erreichen, werden die Länder nicht um diese teure Art der Kompensation durch CO₂-Entfernung herumkommen.
Besteht bei den Verhandlungspartnern in Baku wirklich ein Interesse, dass künftig nur diese wissenschaftlich anerkannten und teuren Zertifikate gehandelt werden?
Es wird sicher Leute geben, die darauf drängen, dass möglichst viele und auch billige Zertifikate zugelassen werden. Ich weiss aber auch, dass es Verhandler und Verhandlerinnen gibt, die ein sehr starkes Interesse daran haben, strengere Qualitätsstandards durchzusetzen. Auch ein Autor unserer Publikation ist bei den Verhandlungen in Baku dabei. Aber wie dieses politische Tauziehen am Ende ausgeht, kann ich nicht sagen. Wir werden die Effektivität der Projekte jedenfalls weiterhin untersuchen und stellen laufend die neusten Studienergebnisse zusammen.
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