Kleider, Foodtruck und Blumen Drei Geflüchtete aus der Ukraine machen sich in Zürich selbstständig
Sie entkamen Putins Krieg und sind heute ihr eigener Chef. Zwei Frauen und ein Mann erzählen, wie sie dafür kämpfen, von ihrer eigenen Firma zu leben.
Dieser Text erschien erstmals am 3. Oktober 2023.
Jeden Monat gehen beim Amt für Wirtschaft und Arbeit in Zürich etwa zehn Gesuche von Geflüchteten mit Schutzstatus S ein. Der Grund: Sie wollen sich selbstständig machen.
Um diese Bewilligung zu bekommen, müssen die Flüchtlinge glaubwürdig belegen, dass sie ein Startkapital, die nötige Infrastruktur und alle Bewilligungen haben. Das ist gar nicht so einfach, denn die Geflüchteten leben von einer individuell berechneten Sozialhilfe. Anders gesagt: Sie müssen Investoren für ihre Idee suchen oder kreativ werden.
Und wenn sie etwas mit ihrer Firma verdienen, wird ihnen das direkt von der Sozialhilfe abgezogen. Dies ist im kantonalen Sozialhilfegesetz so geregelt. Um Personen zu motivieren, ihre finanzielle Situation zu verbessern, wird ein sogenannter Einkommensfreibetrag gewährt. Dieser unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde. Wenn die Einnahmen den Betrag der Flüchtlingshilfe übersteigen, erlischt der Anspruch auf Unterstützung. Das bezogene Geld müssen Geflüchtete nur zurückzahlen, wenn sie im Lotto gewinnen, etwas erben oder das Geschäft plötzlich so gut läuft, dass eine Rückerstattung «angemessen» wäre.
Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 hat das AWA etwas über 100 Arbeitsbewilligungen für eine selbstständige Erwerbstätigkeit an Personen mit Schutzstatus S erteilt. Die meisten davon haben ein Einzelunternehmen eröffnet, in denen sie persönliche Dienstleistungen anbieten. So auch Alena Muzalyova, Irina Evora und Halis Ozdemir.
Sie sind drei dieser Gesuchstellenden. 3 von rund 12’000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die vor dem Krieg nach Zürich geflohen sind. Das sind ihre Geschichten.
Halis Ozdemir, 39, Altstetten
«Zehn Tage nachdem der Krieg ausgebrochen war, beschlossen wir, das Land zu verlassen. Ich wusste, dass dieser Krieg nicht gleich vorbei sein wird. Und wenn er endet, wird die Wirtschaft am Boden liegen. Darum sind meine Frau, meine Tochter und ich aus Lwiw geflohen. Mit meinem türkischen Pass konnte ich ausreisen.
Meine Frau arbeitete in der Ukraine als Interior-Designerin, ich war selbstständiger Ingenieur. Als Hobby betrieb ich noch zwei Restaurants. Meine Frau richtete die Restaurants ein, so lernten wir uns kennen.
Für mich war vom ersten Tag an klar, dass ich auch in der Schweiz mein eigener Chef sein will. Um unsere Lebenskosten selbstständig decken zu können, brauchen wir etwa 8000 Franken. Dass mich jemand für so einen Lohn hier anstellen würde, ist nicht realistisch. Es war klar: Wir müssen uns selbstständig machen.
Die ersten drei Monate habe ich den Markt analysiert. Im Interior-Design musst du die Sprache gut beherrschen, als Ingenieur auch. So lange kann ich aber nicht warten. Die beste Option war, wie in der Ukraine ein Restaurant oder ein Café zu eröffnen. In unserer Situation ist es aber unmöglich, einen Ort zu finden, dessen Miete bezahlbar ist. Eines Tages sah ich, wie jemand Essen aus einem Foodtruck verkauft, und dachte: Das kann ich auch!
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Einen Foodtruck zu bekommen, war aber gar nicht so einfach. Sie waren entweder zu teuer oder zu abgenutzt. Ich wollte, dass es aussieht wie ein Kiosk auf Rädern. Also beschloss ich, den Truck selbst herzustellen. Ich machte die Pläne, flog in die Türkei und setzte den Truck Stück für Stück zusammen. Wie ein Puzzle. Und dann habe ich ihn hierher rübergeschifft. Vielleicht fange ich bald an, auch Foodtrucks zu verkaufen.
Das war vor sieben Monaten. In meinem Truck verkaufte ich zuerst gefüllte Croissants. Die waren in der Ukraine sehr populär. Leider klappte das nicht so gut. Die Schweizer essen Gipfeli nur am Morgen, mein Konzept ging nicht auf. Darum habe ich umgesattelt. Jetzt verkaufe ich Kebab, mit frischem Brot und grilliertem Gemüse. Aber wer weiss, vielleicht kommt das Croissant irgendwann wieder zurück. Ich wäge immer ab, was am besten läuft, und passe mich an.
Finanziell hatte ich keine Probleme, ich habe Investoren, mit deren Hilfe ich eine GmbH gründen konnte. Ich arbeite mit Big Baba’s, einem Restaurant in Altstetten, zusammen, der Besitzer hat in mich investiert. Ich kannte ihn vorher nicht. Ich bin ein paarmal zu ihm Tee trinken gegangen, wir kamen ins Gespräch. So läuft das immer in der türkischen Diaspora. Sie ist hier gut vernetzt.
Am schwierigsten ist es, einen Standort für meinen Truck zu finden. Momentan laufe ich herum und halte Ausschau nach guten Standorten. Wenn ich einen guten Ort sehe, frage ich die Besitzer, ob ich hier für ein paar Tage stehen darf.
Weil das Geschäft nicht läuft, bin ich noch immer von der Sozialhilfe für Geflüchtete abhängig. Mein Ziel ist aber, dass wir möglichst bald davon loskommen. Ich will nicht die ganze Zeit Rechenschaft ablegen müssen, wie ich was wo mache. Aber das braucht Zeit. Ich bin halt nur eine 1-Mann-Firma.»
Alena Muzalyova, 40, Schwerzenbach
«Ich habe in der Ukraine als Designerin gearbeitet. Ich hatte einen Kleiderladen in Kiew und einen in Odessa. Ich arbeite seit zwanzig Jahren in der Branche. Meine Marke hiess Muza, die Kleider designte ich selbst und liess sie vor Ort anfertigen.
Doch nachdem neben unserem Haus in Kiew eine Bombe explodiert war, beschloss ich, beide Läden zu schliessen und die Ukraine zu verlassen. Damit meine Familie sicher ist.
In der Schweiz bin ich per Zufall gelandet. Eigentlich wollte ich nach Spanien zu Freunden. Wir machten einen Zwischenstopp, und ich sah, dass kleine Kinder hier allein in den Kindergarten gehen, Händchen haltend. Da wurde mir klar, dass dies der richtige Ort für meine Familie ist. Zusammen mit meiner Mutter und meiner kleinen Tochter lebe ich nun seit März 2022 in Schwerzenbach.
Seit ich hier angekommen bin, arbeite ich als Volontärin für ukrainische Hilfsorganisationen. Ich bin Unternehmerin und Patriotin. Ich möchte meinem Land in jeder Lage helfen. Darum organisiere ich in Zürich den Markt UA made, an dem Ukrainerinnen alle paar Monate ihre handgefertigten Produkte verkaufen können. Ein Teil des Geldes geht an Hilfsorganisationen, ein Teil an die Verkäufer.
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Ich merkte sofort, dass durch die vielen Geflüchteten eine grosse Nachfrage entstanden ist. Viele Ukrainerinnen sind mit Trainerhosen gekommen, sie hatten keine Kleider dabei und schon gar keine traditionellen Trachten. Gleichzeitig gab es viele Demonstrationen, an denen das Bedürfnis gross war, sich als stolze Ukrainerin zu zeigen.
Also fing ich letzten Herbst an, Flaggen zu importieren. Es folgten traditionelle ukrainische Kleidung und Taschen. Kurz darauf gründete ich meine neue Marke, sie heisst UA Made with Love. Wir verkaufen vor allem traditionelle Trachten, aber auch Kleider, Korsette oder Taschen. Das meiste davon designe ich selbst. Das ist meine Art, mit dieser Situation zurechtzukommen.
Die Kleider werden auf Bestellung in der Ukraine gefertigt und sind innerhalb von zwei Wochen hier. Ich engagiere meine alten Näherinnen, mit denen ich früher schon zusammengearbeitet habe. Es sind Frauen, die das Land nicht verlassen können und auf einen Lohn angewiesen sind. So kann ich sie und das Land von hier aus unterstützen.
Mein Ziel ist es, die ukrainische Kultur in der Schweiz bekannter zu machen und möglichst schnell von der Sozialhilfe loszukommen. Leider verdiene ich noch kein Geld mit meinen Kleidern, weil mein Showroom erst letzte Woche in Schwerzenbach eröffnet wurde.
Alle paar Monate fahre ich selbst zurück in die Ukraine, um die Qualität der Kleider zu kontrollieren. Zudem kann ich so meinen Mann sehen, der sich freiwillig gemeldet hat, um Militärdienst zu leisten. Wenn der Krieg vorbei ist, möchte ich wieder in die Ukraine zurückkehren. Aber ich hoffe, dass ich die Firma hier weiterführen kann, damit die Jahre in der Schweiz nicht verschwendet sind.»
Irina Evora, 31, Winterthur
«Vier Tage nachdem der Krieg ausgebrochen ist, bin ich aus Kiew in die Schweiz geflohen. Freunde von mir riefen mich an und sagten, ich solle nach Zürich kommen. Also machte ich mich auf die Flucht, zuerst mit dem Auto, dann mit dem Zug und zuletzt mit dem Flugzeug.
Etwa ein halbes Jahr nachdem ich in der Schweiz angekommen war, meldete ich meine Einzelfirma an, sie heisst Evora Flowers. Ich schrieb einen langen Brief an die Gemeinde, in dem ich meinen Werdegang schilderte. Ich habe Betriebswirtschaft studiert und arbeitete sieben Jahre lang in einer Bank, bevor ich Floristin wurde. Ich wollte schon immer eine eigene Firma aufbauen.
Dabei wurde ich nur durch Zufall Floristin. Als Zwanzigjährige interessierte ich mich für Fotografie und wollte Modedesignerin werden. Einer meiner Lieblingsfotografen, Niral Patel, macht wunderschöne Hochzeitsfotos. Diese haben mich inspiriert. Aber ich merkte, dass ich bei jedem Foto auf die Blumen schaute. Ich weiss nicht, warum. Blumen machen mich einfach glücklich.
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Jedenfalls kaufte ich mir dann ein Buch des Floristen-Duos von Studio Choo und fing an, mir die Theorie selbst beizubringen. Mein Stil ist ähnlich: luftig und asymmetrisch.
In der Ukraine hatte ich vier Jahre lang mein eigenes Studio, in dem ich Gestecke auf Bestellung produzierte. Als ich in die Schweiz kam, merkte ich schnell, dass es so einen Stil hier nicht gibt. Darum fing ich an, Bouquets in meiner Wohnung zu machen und zu verkaufen.
Ich schaffe zwei bis drei Sträusse pro Woche und arbeite an zwei grösseren Projekten pro Monat. Ich habe zum Beispiel vor ein paar Wochen an der Mode Suisse das Hauptgesteck designt. Und im November bin ich an einem Pop-up in Wiedikon beteiligt, wo ich meine Sträusse verkaufe.
Leider verdiene ich noch kaum Geld damit. Weil ich Sozialhilfe beziehe, gehen 70 Prozent von dem, was ich verdiene, an den Staat zurück. Ich kaufe die Blumen mit meinem Essensgeld, es bleibt also nicht viel übrig. Ich bin aber auf der Suche nach einem Teilzeitjob und nach einer grösseren Wohnung, in der ich ein Atelier einrichten kann. Dann kann ich grössere Firmen wie Hotels und Restaurants angehen, um wiederkehrende Bestellungen zu bekommen.
Wenn ich fünf Gestecke pro Woche machen und nebenbei an drei Projekten pro Monat arbeiten könnte, könnte ich mich von der Sozialhilfe trennen und mein eigenes Geld verdienen. Das ist mein Ziel. Wenn es so weitergeht, werde ich das nächstes Jahr auch erreichen.»
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