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Kirgisinnen zwischen Familie und eigenen Träumen

«Nach meinem Wirtschaftsstudium lernte ich meinen Mann kennen und wir zogen in sein Dorf. Jetzt leben wir mit seiner Mutter und unseren vier Kindern zusammen.»
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Für ihren Fotoband «Pomegranates grow in winter» begab sich Anna Tia Buss auf mehrere Reisen in ihre alte Heimat. Die 27-Jährige lebt heute in Zürich, als Kind aber verbrachte sie vier Jahre in Bishkek, der Hauptstadt von Kirgistan.

«Meine Mutter begann dieses Jahr, sich Sorgen zu machen, dass ich nicht bald heiraten würde. Sie bekam mich, als sie 23 Jahre alt war. Ich denke, jetzt ist eine andere Zeit, und unsere Generation hat bereits mehr Freiheiten. Ich habe ihr gesagt, dass meine medizinische Karriere im Moment wichtiger für mich ist.»

Dort eine Frau zu sein, bedeute, zu heiraten, wenn man älter als 18 sei, antwortet Cholpon auf Anna-Tia Buss’ Frage. Die 21-Jährige ist, seit sie geheiratet hat, Hausfrau und Mutter.

«Für mich ist es eine Art Kampf gegen Stereotype», antwortet Saikal (23), Filmstudentin und Tänzerin. Anders als Cholpon wünscht sie sich zurzeit nicht eine glückliche Familie, sondern Unabhängigkeit.

In Zitaten und kurzen Interviews erzählen die Frauen, wie ihr alltägliches Leben aussieht. Die Bilder spiegeln diese Aussagen. Doch welche Aussagen zu welchen Gesichtern gehören, lässt Anna-Tia Buss auf ihren Bildern offen.

«Schon als junge Mädchen wird uns beigebracht, den Tee genau richtig zu servieren, die Tasse muss nur halb voll sein und der Tee nicht zu heiß, sonst könnte sich der Gast ja verbrennen.»
«Ich kämpfe noch immer damit, herauszufinden, ob ich dem Weg, der von  meiner Familie und Religion vorgegeben wurde, verfolge, oder einen ganz anderen einschlage.»

Ihr Fotoband soll die Frauen und ihren Alltag nicht exotisieren, wie das in der Schweiz gerne gemacht werde, sagt sie am Telefon. «Auch in Kirgistan haben junge Frauen ein normales Leben.»

Dieses sieht noch immer vor, dass Frauen jung heiraten, wie Cholpon. Die Familien wollen es so. Seit einigen Jahren legt man jedoch grossen Wert darauf, dass die Frauen gut ausgebildet sind, mit Bestnoten abschliessen - um danach aber doch gute Hausfrauen, Mütter und Schwiegertöchter zu werden.

«Frau zu sein in Kirgisistan, bedeutet für mich, eine Art Kampf gegen Stereotypen zu führen. In asiatischen Kulturen sollten Frauen immer dem zustimmen, was Männer oder die Eltern sagen – es ist schwer, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.»
«In unser Kultur geben wir viel Geld für die Hochzeitsfeierlichkeiten aus. Normalerweise sind um die 400 Gäste anwesend! Ich bin dagegen, dieses Geld für so was zu verschwenden, dieses spare ich lieber und gehe reisen. Ich habe es versucht, meiner Mutter zu erklären, aber sie lehnt es konsequent ab und will ein grosses Fest machen, wenn ich heirate.»
«In unserer Kultur muss man immer bereit sein, das zu tun, was die Gesellschaft von einem erwartet, aber ich bin dagegen»

Cholpon und Saikal zeigen, wie unterschiedlich das Leben einer jungen Frau unter diesen Voraussetzungen verlaufen kann, wie unterschiedlich sie ihre Rollen in der Gesellschaft, in der Familie sehen. Während die eine darüber nachdenkt, was die Familie ihres Mannes von ihr erwartet, macht sich die andere Gedanken darüber, was ihre Instagram-Follower als nächstes von ihr sehen wollen. Diese Bandbreite spiegelt sich auch in den Fotos. Anna-Tia Buss fotografierte in Bishkek, fuhr aber auch hinaus aufs Land.

«Wir sind beide aus einem Dorf nach Bishkek für das Studium gekommen. Wir leben beide mit entfernten Verwandten, hier ist es nicht üblich, als Studentin alleine zu leben oder in einer Wohngemeinschaft.»

Das Thema Brautraub habe Anna-Tia Buss absichtlich nur am Rande aufgegriffen. Beim Brautraub handelt es sich um eine «Tradition», bei der der Mann seine zukünftige Ehefrau entführt. Besonders in ländlichen Regionen ein Problem, für viele aber so normal, dass sie nicht einmal darüber sprechen würden. Eine der Frauen im Bildband erzählte doch: Sie hätten sich über gemeinsame Freunde kennen gelernt, dann Whatsapp-Nachrichten geschrieben, dann habe er sie entführt. «Aber ich wusste, dass er das tun würde, wir haben uns ja gedatet.»

«Ich bin noch immer dabei, herauszufinden, ob ich den Regeln meiner Familie, meiner Religion folgen oder einen ganz anderen Weg gehen soll», sagt eine der Frauen am Ende des Bildbandes. Einige haben sich bereits entschieden. Jene, die am letztjährigen Weltfrauentag in Bishkek auf die Strassen gingen und riefen: «Blumen sind nicht genug.»

«Neben der Betreuung meiner Familie, bin ich in einem Online-Kurs eingeschrieben, um Lehrerin zu werden. Ich hoffe, dass ich es schaffen werde, in der Dorfschule zu arbeiten, wenn mein Jüngster in den Kindergarten geht.»
«Ich bin eine Schwiegertochter und muss somit die traditionellen Regeln befolgen. Ich weiss, was von mir erwartet wird. Es sind unausgesprochene Regeln, die wir befolgen. Ich denke, es ist einfach normal und in Ordnung.»