Kolumne «Miniatur des Alltags»Kinderlogik mit «Ohnezahn»
Wenn Vierjährige einem die Welt erklären, lernt man mitunter Erstaunliches.
Kinder haben eine eigene Logik. Da wird mal komplett Absurdes unhinterfragt als Realität angenommen – wohl auch deshalb funktionieren für sie Konzepte wie Osterhase, Zahnfee und Samichlaus. Gleichzeitig können die Dreikäsehochs gern auch in scheinbar unwichtigen Belangen unfassbar pingelig sein.
Meine jüngste Nichte erhielt kürzlich zu ihrem vierten Geburtstag einen Plastikdrachen. «Wie heisst der Drache denn?», wollte ich von ihr wissen. «Ohnezahn. Er ist nicht geschminkt. Den geschminkten Ohnezahn habe ich schon», antwortete sie mit einem Blick, der mich an einen meiner Uniprofessoren erinnerte, so sehr triefte er vor Enttäuschung über das Unwissen des Gegenübers. Hätte sie mich Banause oder Philister genannt, es hätte mich nicht im Mindesten erstaunt.
Ich betrachtete den mutmasslich ungeschminkten «Ohnezahn», in dessen Maul regelmässig verteilte, weisse Zähne glänzten. «Aber der hat doch Zähne.» Meine Nichte verdrehte die Augen und erwiderte schlicht «Ohnezahn». Ich überlegte kurz, ob das die Gelegenheit war, um eine umgekehrte Version der bei Kindern so beliebten «Wieso»-Kaskade loszutreten. Auch zu ihrer Meinung bezüglich des angeblich vorhandenen Schminkverhaltens von Drachen hätte ich noch diverse Fragen stellen können, entschied mich dann aber dagegen. Auch weil die Kleine mit Ohnezahn zu einem nahen Sandhaufen stürmte, um sich den Altersgenossen mit ähnlich hohem Zuckerspiegel anzuschliessen.
Bald sah das Geburtstagskind aus wie ein Sandteufelchen, was sie aber erst störte, als es darum ging, sich dem Geburtstagskuchen zu widmen. «Geh die Hände doch im See baden», riet ihre Mutter. Die Kleine sah sie skeptisch an und sagte mit todernstem Gesicht: «Du meinst putzen», und stolperte hoch konzentriert den Sandhügel hinunter in Richtung See, um dort badend die Hände zu putzen.
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