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Ukraine ändert Strategie
Kiew startet einen neuen Gegenangriff

Strategie geändert: Die ukrainische Armee, im Bild ein Soldat in der Nähe der Hauptstadt Kiew. 
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Immer mehr Indizien deuten darauf hin, dass die Armee der Ukraine ihre Angriffe im Süden des Landes wieder ausweitet und eine neue Phase der Gegenoffensive begonnen hat. Offenbar wurden Tausende von westlichen Verbündeten ausgebildete Soldaten an die Front verlegt, die man bislang noch zurückgehalten hatte. Auch vom Westen gelieferte Panzer kommen vermehrt zum Einsatz.

Die «New York Times» berichtet unter Berufung auf zwei Beamte des Pentagons, der Hauptvorstoss der ukrainischen Gegenoffensive habe begonnen. Darüber hätten ukrainische Offizielle die USA informiert. Auch russische Quellen sprechen von verstärkten Angriffen ukrainischer Truppen, die beispielsweise mit Leopard-Kampfpanzern ausgestattet seien.

Noch ist es allerdings zu früh, um gesichert feststellen zu können, dass es sich hierbei um den von vielen erwarteten Hauptschlag Kiews handelt. Die Kämpfe könnten sich aufgrund der neu in den Süden verlegten Truppen auch nur temporär intensiviert haben.

Es wird jetzt vor allem darauf ankommen, ob die Militärführung in Kiew die richtigen Schlüsse aus den verheerenden Niederlagen zu Beginn der Offensive gezogen hat. Immer deutlicher wird, wie immens die Verluste Anfang Juni waren: 20 Prozent der von Nato-Ländern gelieferten gepanzerten Fahrzeuge gingen bereits in dieser frühen Phase verloren. Innerhalb der ukrainischen Verbände herrschte während der Angriffe und danach offenbar Chaos.

Als einige vorstossende Trupps in Minenfeldern stecken blieben und mit tragbaren Panzerabwehrwaffen und Helikoptern angegriffen wurden, habe niemand gewusst, wie man auf die unerwartet starke russische Gegenwehr reagieren solle, berichten Soldaten und Offiziere gemäss mehreren Quellen. Zwischen den verschiedenen Verbänden brach die Kommunikation zusammen, immer wieder seien irrtümlich sogar eigene Soldaten beschossen worden.

Mangelhafte Koordination

Gemäss Recherchen des Militärexperten Franz-Stefan Gady «beherrschen die ukrainischen Streitkräfte immer noch nicht voll umfassend das Gefecht der verbundenen Waffen in grösserem Umfang». Gady, Analyst am Institute for International Strategic Studies in London und gerade zurück aus der Ukraine, wo er mit Soldaten und Offiziere sprechen konnte, schreibt: «Ihre Vorstösse ähneln eher Einzelaktionen und sind nicht wirklich abgestimmt.»

Ähnliches steht in einem internen Bericht der deutschen Bundeswehr: Eine gemeinsame Gefechtsführung grösserer Truppenteile sei bislang nicht erkennbar. Es sei nicht gelungen, Angriffe von Infanterie, Artillerie und Panzern zeitlich und räumlich zu koordinieren. Die Ukraine hat aufgrund dieser Defizite bei der eigenen Gefechtsführung ihre Taktik vor etwa fünf bis sechs Wochen grundlegend verändert. Statt zu versuchen, mit grösseren gepanzerten Verbänden Minenfelder schnell zu durchqueren, setzte man seither auf massives Artilleriefeuer, um die gegnerischen Stellungen zu schwächen.

Munitionslager zerstört

Auch neu gelieferte Streumunition wurde hierfür bereits verschossen. Vor allem feindliche Artilleriestellungen waren das Ziel. Ausserdem wurden mit hohem Munitionsaufwand weit hinter der Front russische Nachschubwege und Munitionslager zerstört.

Vorstösse wurden anschliessend nur noch mit kleineren Infanterieverbänden unternommen. Diese kleinen Trupps sollten die russischen Verbände nicht nur systematisch zurückdrängen, sie sollten vor allem die feindliche Artillerie zu einer Reaktion veranlassen, um deren Standort ausfindig zu machen.

«Die feindlichen Artillerietrupps beschiessen ungestraft unsere Stellungen, wir sind nicht in der Lage, das Feuer zu unterdrücken.»

Russischer Kommandant in der Region Donezk

Die russischen Streitkräfte hatten Probleme, eine Antwort auf diese ukrainische Feuerkraft zu finden. Ein russischer Kommandant in der Region Donezk schrieb beispielsweise auf Telegram: «Die feindlichen Artillerietrupps beschiessen ungestraft unsere Stellungen, wir sind nicht in der Lage, das Feuer zu unterdrücken.» Ein anderer Kommandant, der die Probleme in Moskau ansprach, wurde daraufhin entlassen.

Für die Ukraine ging es in dieser Phase nicht darum, möglichst viel Gelände zurückzuerobern. Wichtig war stattdessen, die eigenen Verluste zu reduzieren und gleichzeitig gute Bedingungen für die zweite Welle von Vorstössen zu schaffen.

Erfolge, aber auch hohe Verluste

Die zweite Welle, die jetzt möglicherweise begonnen hat. Ein Schwerpunkt der aktuellen Angriffe liegt südlich der Ortschaft Orichiw, dort hatte der Beschuss russischer Stellungen in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. Jetzt werden Dutzende westliche gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt, um vorzurücken. Mindestens eine russische Verteidigungslinie bei dem Dorf Robotyne wurde durchbrochen, wie geolokalisierte Aufnahmen zeigen. Die ukrainischen Verluste sind allerdings hoch.

Erst die kommenden Tage werden zeigen, ob die Geländegewinne abgesichert werden können und weitere Vorstösse in Richtung der Stadt Tokmak und zum Asowschen Meer möglich werden – oder ob es den russischen Truppen gelingt, die Frontlinie schnell zu stabilisieren.