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Zürcher Quartier hilft sich selbst
Keine Bäckerei in der Nähe? Dann eröffnen wir eben eine

Peter Heuss (links) und Klaus Ammann gehören zu den Initianten der Idee, mit Freiwilligen einen Bäckereiladen zu betreiben.
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Dieser Text erschien erstmals am 19. Mai 2023.

Es gab einen Coop, eine Metzgerei, eine Pizzeria. Doch keinen Beck. Die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) fragte etwa sechzig Bäckereien an, ob sie nicht in dem von ihr erstellten neuen Quartierzentrum Friesenberg eine Filiale eröffnen möchten. Vergeblich.

«Lass uns selbst eine Bäckerei betreiben, ehe stattdessen ein Nailstudio oder ein weiteres Architektur-Start-up einzieht», sagten sich daraufhin vier befreundete Ehepaare, die in dem Quartier unterhalb des Uetlibergs wohnen. Das war 2018 und eine ziemlich spontane Idee, die wohl auch einem oder zwei Gläsern Wein entsprang.

Von der Idee zur Realisation

Doch nun sitzen zwei, die damals dabei waren, Klaus Ammann und Peter Heuss, an einem Holztisch im hinteren Bereich einer kleinen Bäckerei am Friesenbergplatz. Im September 2020 wurde der Quartierbeck eröffnet. Das Brot liefert der Bio-Beck Lehmann aus dem thurgauischen Lanterswil.

«Wir haben ziemlich lange nach einem Lieferanten gesucht», erzählt Ammann. Erst in der näheren Umgebung. «Doch für die einen war unser Auftragsvolumen zu klein, bei anderen überzeugte uns die Brotqualität oder der Herstellungsprozess nicht.» Und dann gab es noch jene, die bei der Marge schmörzelten. «Bei Lehmann stimmte alles», erzählen die beiden.

Hohe Ansprüche an das Brot, das aus dem Thurgau geliefert wird. Gut und biologisch hergestellt muss es sein.

Ammann und Heuss teilen sich das Präsidium des Vereins Täglichbrot, der 2018 mit dem Ziel, eine Bäckerei zu betreiben, gegründet wurde. Vom Brotfach sind Ammann und Heuss nicht. Ammann ist Wirtschaftsredaktor bei Radio SRF, Heuss betreibt eine Agentur rund um Kommuni­kation und Gestaltung. Doch beide mögen frisches Brot und das Quartier Friesenberg.

Wie sich wies, waren das keine schlechten Voraussetzungen für das Gelingen des Projekts. Sie rechneten hoch: Wenn dreissig Leute an einem Tag pro Monat freiwillig hinter die Theke stehen und Brot verkaufen, müsste das zu stemmen sein. Innerhalb kurzer Zeit meldeten sich gut hundert zur Stelle.

100 ehrenamtliche Verkäuferinnen und Verkäufer

«Zum Glück», sagt Peter Heuss. «Denn wir hatten den Bedarf an Freiwilligen unterschätzt.» Im Moment sind rund 100 aktiv im Brotverkauf. «Und es könnten durchaus noch ein paar mehr sein.» Sie tragen sich in einem Onlineportal ein und arbeiten unterschiedlich viel. Manche einen halben Tag jede Woche, andere gelegentlich ein paar Stunden pro Monat. Manchmal muss sich jemand auch kurzfristig abmelden, meistens findet sich Ersatz.

Natalie Eberle ist eine dieser freiwilligen Brotverkäuferinnen. Sie kämpft gerade mit der Kasse, die den Dienst versagt, weil das WLAN streikt. Trotzdem ist die Stimmung entspannt, bei ihr und dem Kunden. Denn in diese Bäckerei kommt man nicht nur, um schnell ein Pfünderli oder ein süsses Stückli einzukaufen, sondern auch, um etwas zu plaudern.


Natalie Eberle gehört zum Freiwilligenteam und leitet das Quartiernetz Friesenberg.

«Unser Ehrgeiz war es von Anfang an, Öffnungszeiten anzubieten, die mit denen anderer Geschäfte vergleichbar sind», sagt Ammann. Ganz so weit ist es noch nicht. Deshalb schliesst der Quartierbeck am Freitag und am Samstag schon um 13 Uhr.

Doch heute ist Mittwoch, und Peter Heuss geht immer mal wieder nach vorn, um die Auslage zu inspizieren. Morgens um sieben habe die Frühschicht das Brotgestell bis zum letzten Platz aufgefüllt. Nun ist es 16 Uhr, und die Auswahl ist nur noch recht mager. «Das ist einerseits schön, aber gleichzeitig ist erst um 19 Uhr Ladenschluss», sagt Heuss. «Wir möchten doch auch jenen noch etwas anbieten, die am Feierabend vorbeikommen.»

Um 16 Uhr hat sich die Auswahl schon stark gelichtet. Es ist schwierig, den Bedarf vorauszusehen.

Es sei wirklich schwierig, abzuschätzen, wie viel Brot jeweils verkauft werden könne. «Das hängt vom Wetter, aber auch von anderen Faktoren ab, die wir nicht voraussehen können», sagt Heuss.

«Glücksfall» Corona

Und was geschieht im umgekehrten Fall, also wenn am Abend Brot übrig bleibt? «Wir bieten es am nächsten Tag mit 30 Prozent Rabatt an», sagt Ammann. Was dann noch übrig bleibt, bringen wir im «Pfuusbus» vorbei oder in eine Siedlung, in der kinderreiche Familien wohnen.

Dann folgt eine erstaunliche Aussage: «Corona war für uns in gewisser Weise ein Glück.» Der Verein zog einen Lieferservice auf und lernte so die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden recht gut kennen. Den Lieferservice gibt es heute noch, und er ist begehrt. Nicht nur bei der Kundschaft, sondern auch bei den Kindern und Jugendlichen, welche diesen am Samstag per Velo und für ein bisschen Sackgeld übernehmen.

Pro Altersjahr einen Franken

Sie beliefern jeweils zwischen 60 und 120 Haushalte. Die Lieferung kostet 1.50 Fr. Die Kinder und Jugendlichen erhalten von den Kundinnen und Kunden zuweilen etwas Trinkgeld. Der Verein rundet das dann so auf, dass sie pro Altersjahr einen Franken verdienen.

Die näheren Rayons werden den Jüngeren zugeteilt, die weiter entfernten den Älteren. Geliefert wird nur innerhalb des Quartiers Friesenberg, das sich allerdings bis fast hinauf auf die Waldegg erstreckt. Dort oben bestellt eine Kundin jeden Samstag ein kleines rundes Brot und ein Gipfeli. Hart erarbeitetes Geld für den Velolieferdienst.

Der Lebensmittelinspektor

Auch wenn dieser Laden von Freiwilligen betrieben wird, gelten alle Auflagen, die auch eine «gewöhnliche» Bäckerei einhalten muss. Bereits am zweiten oder dritten Tag nach der Inbetriebnahme stand der Lebensmittelinspektor im Laden. Er kam zufällig vorbei und hatte bemerkt, dass hier ein neues Geschäft eröffnet wurde.

Er beanstandete das Waschbecken und kam einen Monat später nochmals zur Kontrolle vorbei.
Auch bei der Abrechnung geht nichts Handgelenk mal Pi. Deshalb ist Verkäuferin Natalie Eberle froh, als das WLAN – und damit auch die Kasse – wieder funktioniert.

Handschuhe sind Pflicht. Die Auflagen für den Verkauf von Lebensmitteln müssen strikte eingehalten werden.

Weil sich die Verkäuferinnen und Verkäufer immer wieder abwechseln und es einigen an Routine fehlt, hat ein Vereinsmitglied kleine Videos gedreht, auf denen jeder Handgriff aufgezeigt wird. Etwa wie morgens das Brot eingereiht und am Abend die Kaffeemaschine geputzt werden muss.

Zudem hat der Verein mit einer 60-Prozent-Stelle eine Betriebsleiterin eingestellt, welche den Laden operativ führt, die Arbeitseinsätze koordiniert und den Verein gegenüber der Kundschaft, den Lieferanten und Behörden vertritt.

Mittlerweile hat die Bäckerei diversifiziert. Es gibt ausgesuchten Käse aus dem Toggenburg, Sirup aus Altstetten, Schokolade und Honig aus dem Quartier. Möglichst nah, nachhaltig, biologisch. Nur bei der Glace gibt es eine Ausnahme: Neben den Produkten der Zürcher Manufaktur Sorbetto kann man auch ein Raketen-Wasserglacestängeli kaufen.

Im Moment ist allerdings nicht Glacezeit. Eben geht ein Wolkenbruch mit Graupel über dem Platz nieder. Doch die beiden Frauen, die vor dem Beck ihren Kaffee trinken, rücken nur etwas näher unter den Dachvorsprung an die Wand und lassen sich nicht stören.

Bäckerei und Quartiertreffpunkt. Die meisten Kundinnen und Kunden kommen regelmässig vorbei.

«Der Quartierbeck ist dabei, zu einem eigentlichen Quartiertreffpunkt zu werden», sagt Natalie Eberle, die das Quartiernetz Friesenberg leitet, wenn sie nicht gerade Brot verkauft. «Er ist ein Geschenk für das Quartier. Ein nachahmenswertes Soziokulturprojekt, bei dem es eigentlich nur Gewinner gibt.»

Gutes Stichwort: Gewinn! «Wir sind zwar nicht gewinnorientiert, möchten aber doch möglichst selbsttragend werden», sagt Klaus Ammann. Dass dies möglicherweise bald gelingt, hat natürlich mit der Freiwilligenarbeit zu tun. Aber auch damit, dass die FGZ ihnen für das Lokal keine Miete verrechnet. Eben hat sie dies für weitere zwei Jahre verlängert.

Täglichbrot, Friesenbergplatz 5, www.taeglichbrot.ch