Koeman-Entlassung bei BarcelonaKaum sass er im Flugzeug, war er seinen Job los
Nach dem 0:1 bei Rayo Vallecano setzt der FC Barcelona den Niederländer Ronald Koeman als Trainer ab. Nun soll Clublegende Xavi Hernández das Amt übernehmen.
Es gibt Dinge, die gehören zum Standard von Flugreisen. Zum Beispiel: Der Sermon mit der Bitte um die Aufmerksamkeit der Passagiere, damit sie sich – unter anderem – mit der Zahl und Verortung der Ausgänge vertraut machen, die mit dem Wort «Exit» gekennzeichnet sind. Normalerweise sind es Flugbegleiter, die dazu im Gang müde winken («two in the front, two in the middle, two in back...»).
Am späten Mittwochabend, auf dem Rückflug der Reisegruppe «FC Barcelona» vom Auswärtsspiel beim Madrider Arbeiterviertelclub Rayo Vallecano (0:1) waren es aber keine Stewards oder Stewardessen, die einem Passagier die Tür wiesen. Sondern Barcelonas Präsident Joan Laporta (59). Kaum, dass die Anschnallzeichen erloschen waren, teilte er Ronald Koeman mit, dass er als Trainer abgesetzt sei.
Es darf als unwahrscheinlich gelten, dass Koeman darum bat, Sauerstoffmasken von der Kabinendecke regnen zu lassen, er selbst hatte schon vor Wochen öffentlich über sein Aus gewitzelt. Seine Demission galt seit so langer Zeit als sicher, dass die spanischen Medien im Affekt den abgedroschenen Buchtitel des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez bemühten: «Chronik eines angekündigten Todes».
Immerhin wünschten sie ihm viel Glück im weiteren Leben
Die Pleite in Vallecas, die durch ein Tor von García-Márquez-Landsmann Radamel Falcao zustande kam (30.), setzte bloss die Formalie der Kündigung in Gang. Sie war lange hinausgezögert worden, weil Barça mit 1,3 Milliarden Euro verschuldet ist – und Koemans Abfindung laut «El País» bei zwölf Millionen Euro liegt. Da lässt sich leichter verschmerzen, dass die Kündigung stillos geriet. Vor dem Start der Maschine war Koemans Entlassung an die Zeitung «Sport» durchgestochen worden, kurz nach der Landung wurde sie um 0.14 Uhr des Donnerstags offiziell bestätigt. Sie wünschten ihm, immerhin, viel Glück im weiteren Leben.
Koeman (58) war im August 2020 verpflichtet worden, nach dem 2:8 Barças gegen den FC Bayern im Champions-League-Endturnier von Lissabon. Der gebürtige Zaandamer löste seinerzeit seinen Vertrag als niederländischer Nationaltrainer auf und (den noch immer auf seine Abfindung wartenden) Quique Setién als Barça-Coach ab. Die Hoffnungen, die der damalige – und kurz danach zurückgetretene – Präsident Josep Maria Bartomeu in Koeman setzte, erfüllten sich nie.
Er holte zwar im April die Copa del Rey, den spanischen Cup. Fussballerisch überzeugen konnte seine Mannschaft kaum; er selbst klagte über ein unausgeglichenes Kader und Verletzungspech. Er musste teure Enttäuschungen wie Philippe Coutinho mitschleppen – und bürgte für heillos überforderte Stürmer wie Luuk de Jong.
Die einzige Chance, um die Laune zu heben: Xavi
Unter Koeman hat Barça nur 58 Prozent der Spiele gewonnen; die allein aus wirtschaftlichen Gründen dringend nötige Champions-League-Qualifikation ist in Gefahr. In den letzten zehn Spielen setzte es sechs Niederlagen, darunter das demütigende 0:3 im Königsklassen-Gruppenspiel gegen den FC Bayern sowie ein 1:2 gegen Erzrivale Real Madrid in der Liga. Und es war am Mittwoch kein Trost, dass Madrid gegen Osasuna nur Remis spielte. Barça steht mit sechs Punkten Abstand zum spanischen Rekordmeister auf dem neunten Tabellenplatz der Liga.
Und nun? Am Donnerstag leitete ein Interimstrainer die Übungen: Ex-Profi Sergi Barjuan, der Trainer der zweiten Mannschaft. Er soll ausharren, «bis ein neuer Trainer verpflichtet ist», teilte der Club mit. Der Favorit: Xavi Hernández (41). Er nimmt im Pantheon Barças einen noch prominenteren Platz ein als Koeman, der als Finaltorschütze des ersten Königsklassentriumphs Barcelonas von 1992 (1:0 gegen Sampdoria Genua) Legendenstatus genoss.
Xavi hat seit dem Ende seiner brillanten, unter anderem mit dem Weltmeistertitel (2010) und vier Champions-League-Titeln geschmückten, aktiven Karriere als Trainer bei al-Sadd in Katar gearbeitet. Mittlerweile sei er bereit, «jede Mannschaft der Welt» zu führen, sagte er unlängst, am Donnerstag waren 600 Tage ohne Niederlage vergangen.
In Xavis Vertrag ist eine Auflösungsklausel enthalten; er darf gegen eine überschaubare Ablöse gehen, wenn Barça rufen sollte. Am Donnerstag reisten enge Mitarbeiter Laportas nach Katar, um Xavi loszueisen. Xavi selbst möchte sich dem Vernehmen nach noch vom Anhang von al-Sadd verabschieden, mit dem er insgesamt elf Titel holte, vier als Spieler und sieben als Trainer.
Dass sich Xavis erklärter Traum von einer Rückkehr nach Barcelona noch nicht längst erfüllt hat, liegt an seinem Verhältnis zu Präsident Laporta. Xavi hatte sich im Wahlkampf der Kandidatur des Laporta-Rivalen Víctor Font angeschlossen; Laporta beäugte Xavi daher skeptisch. Nun ist Xavi für den seit März amtierenden Laporta die wohl einzige Chance, die Laune der Barça-Mitglieder zu heben – und sich selbst zu schützen.
Kritiker werfen Laporta vor, Wahlkampfversprechen nicht eingelöst zu haben
Längst wird ihm vorgehalten, eine Reihe von Wahlkampfversprechen nicht eingelöst zu haben, angefangen damit, dass Club-Ikone Messi nicht etwa blieb, sondern nach Paris ging. Sein Umgang mit Koeman galt als unterirdisch; unvergessen, wie er ihm im Sommer sagte, er würde sich nach einem anderen Trainer umschauen – und den Niederländer dann doch behielt. Zwischendrin musste Koeman mit einem Schwächeanfall ins Spital. Kritik gibt es aber auch aktuell.
Am Wochenende verschrieb sich der Club mit grosser Geste dem Kampf für die Einhaltung der Menschenrechte, doch 48 Stunden später kündigte der Club für Dezember ein Freundschaftsspiel gegen Boca Juniors an. Es soll ausgerechnet in Saudiarabien stattfinden – bekanntermassen ein Musterland für Grundrechte von Mann und insbesondere Frau. Dort soll um eine Copa Maradona und ein paar schmutzige, aber dringend benötigte Millionen gespielt werden.
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