«Fun» im US-WahlkampfDer fröhliche Telefonanruf ist Kamala Harris’ «Signature Move»
Die US-Präsidentschaftskandidatin versucht, die Menschen mit abgefilmten Telefonmitschnitten und «Mut zur Freude» anzusprechen. Das scheint – gerade bei den Jungen – zu klappen.

Sie hat es wieder getan, und die Presse nennt es inzwischen ihr Markenzeichen – ihren «Signature Move»: den Telefonanruf mit der frohen Botschaft. Bei der letzten US-Präsidentschaftswahl ging Kamala Harris’ spontaner Anruf beim frisch gekürten Joe Biden viral, abgefilmt von ihrem Ehemann Doug Emhoff beim gemeinsamen Joggen. Harris’ glückserfüllter Ausruf «We did it, Joe!» wurde zum Meme, entwickelte ein Eigenleben auf Tiktok, und ihr Twitter-Post mit dem Video wurde zu einem der meistgelikten Tweets aller Zeiten.
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In dem Clip steckt spürbar die Begeisterung des Augenblicks. Es pulst darin die Energie der «glücklichen Kämpferin», von der das Ehepaar Obama jüngst in jenem Telefonanruf sprach, in dem die beiden ihr offiziell ihre Unterstützung zusicherten – und der Harris’ Wahlkampf zusätzlich beflügelt hat. Eine gekürzte Fassung dieses abgefilmten Telefonats hat es in Kamala Harris’ Youtube-Kanal geschafft und wurde von den Medien weithin verbreitet. Die neue Präsidentschaftskandidatin der demokratischen Partei schliesst das Gespräch mit den Worten, dass der Wahlkampf sicher auch Spass bringen wird: «Fun».
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Fun ist ein Element, das Harris’ Team schon länger für ihr Image zu kultivieren versucht – und jetzt, im Präsidentschaftswahlkampf, bespielt sie diese Seite ihres Profils ausgiebig, fürchtet sich auch nicht vor der Kritik an ihrer Lache. Denn wo ihr Gegner Donald Trump seit Jahren seine mittlerweile abgehangenen Lamenti über die «gestohlene Wahl» und den Untergang Amerikas repetiert, kann Harris mit einer freudigen Ausstrahlung punkten, mit frischem Wind und fröhlichen Frechheiten. In Befragungen zeigen sich viele potenzielle Wählerinnen und Wähler dadurch erleichtert, ja, beschwingt.
Und Fun sind eben auch die Telefonvideos. Diese Art und Weise, wichtige politische Entwicklungen und Entscheide zu vermitteln, funktioniert gerade für ein jüngeres Publikum besser, als trocken ein Statement zu verlesen oder zu versenden. Bei den Telefon-Mitschnitten ist es, als sei man eins zu eins mit dabei, wenn Geschichte geschrieben wird, quasi direkt am Puls der Zeit. Die Jugend telefoniert zwar selbst äusserst ungern, kriegt beim Zuschauen dabei aber diesen speziellen Kick.
Alles geskriptet? Egal
Das ubiquitäre Handy ist schon an sich das Tool der Aktualität und Unmittelbarkeit – und Politik wird hier in handlichen Handy-Clips serviert, die meist Authentizität suggerieren und erst noch über narrativen Reiz und emotionales Tremolo verfügen. Die «Sie sagt/er sagt»-Dramaturgie löst jenen Sog aus, der viele zu Fans von Realityshows macht – da scheint es egal, ob und wie stark die Chose in Wahrheit geskriptet ist. Der Spektakelfaktor zieht. Das kurze Videoformat ist seit Tiktok und den Video-Shorts von Youtube eine gängige Kommunikationsform und folgt nur dem einen basalen Gesetz der Unterhaltungsindustrie: Langweilen verboten.
Besonders (aber nicht nur) die amerikanische Politik packt die Leute da, wo sie Entertainment bietet; ein Grund dafür, dass Donald Trump es überhaupt auf die politische Bühne geschafft hat, sind seine Qualitäten als Entertainer. Gerade hat Kamala Harris darum ihr «Telefonmarketing» ausgebaut: Erst wurde superspannend in einem Affenzahn eine Art Vizepräsidenten-Castingshow durchgezogen und dann zum krönenden Abschluss das besagte Entscheidungstelefonat abgefilmt. Harris sei abends schlafen gegangen, ohne zu wissen, welchen der drei Topkandidaten sie wählen solle, heisst es. Beim Aufwachen hatte sie plötzlich Gewissheit – und griff zum Telefon.
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Im ausgefeilten Clip dazu sehen wir beide: Kamala Harris am Schreibtisch im Anzug, Tim Walz daheim auf seinem Sofa, mit Dächlikappe und weissen Turnschuhen. «Würden Sie mein Running Mate sein und wir starten die Sache?», fragt die Präsidentschaftskandidatin. «Ich wäre geehrt, Madame Vizepräsidentin. Die Freude, die Sie ins Land zurückbringen, den Enthusiasmus – es ist ein Privileg, dies mit Ihnen ins ganze Land zu tragen», antwortet er. Das Gespräch beendet er mit dem Satz, der stante pede zum Slogan wird: «Let’s win this thing!» (lass uns die Sache gewinnen).
Harris’ Mann seinerseits telefonierte mit Tim Walz’ Frau Gwen und versprach ihr seinen Beistand: Die gute Nachricht sei, er habe das, was sie nun durchmache, ja selbst schon durchgestanden und werde für sie da sein. Natürlich gibts auch dies als Videoclip auf X.
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Mit der Telefonpolitik im Kalten Krieg hat all das nichts zu tun, auch wenn es das legendäre Rote Telefon von damals gleichfalls in die Popkultur und in Filme geschafft hat. Selbiges sollte real die Möglichkeit zur unverfälschten, prompten – und hoffentlich deeskalierenden – Verbindung zwischen den jeweiligen Staatschefs und obersten Militärs ermöglichen und war Symbol für die apokalyptische Stimmung. Bei Harris und Walz dagegen gehts darum, Auftrieb zu geben, Mut zu machen, die Leute gefühlsmässig zu involvieren: Die beiden bezeichnen sich neuerdings selbst als «joyful warriors» (freudvolle Kämpfer).
Harris und Walz lehnen sich, bei aller Dringlichkeit ihres Wahlkampfs, konsequent in den Unernst, den Spass hinein. Das Duo spielt dabei nicht bloss mit TV-Show-artigen Telefon-Clips, sondern zum Beispiel auch mit den in diesem Sommer aufgekommenen «brat»-Referenzen, die Popstar Charli XCX mit dem gleichnamigen Album ins Leben gerufen und für Harris anverwandelt hat (man kuscht nicht vor Autoritäten, steht zu seinen Unzulänglichkeiten).
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Neulich hat Kamala Harris in diesem Geist auch den Song «Femininomenon» der US-Sängerin Chappell Roan aufgegriffen, und man findet beim Tiktok-Account «Kamala HQ» etliche Clips dazu. Die Harris-Walz-Kappe, die zur Wahlkampf-Merchandise gehört, ist übrigens auch ein Knicks in Richtung Chappell Roan, die mit einer solchen Kappe ihr Album «The Rise and Fall of a Midwest Princess» bewirbt – und sie ist im Moment bereits ausverkauft.

Klar, solche Strategien gefallen nicht allen. Schon gar nicht den politischen Gegnern, die von der positiven Resonanz, die dieser Stil fand, überrascht und überrollt wurden. Sie verurteilen etwa die diversen Telefonvideos, nicht in jedem Fall zu Unrecht, als peinlich. Elon Musk spottete über eines davon, es habe «ein Cringe-Level zum Zehennägel-Aufrollen». Der Kommunikationschef von Trumps Wahlkampfteam wiederum geisselte das Harris-Walz-Telefonat auf X als «weird and cringy af» (bizarr und furchtbar beschämend).
Doch der Tadel tut dem Erfolg bis jetzt keinen Abbruch.
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