Kolumne Kaltërina LatifiLiebe Landsleute, Frauen sind nicht nur zum Heiraten und Gebären da
Unsere Autorin hat ein Leben lang versucht, sich ihrer albanischen Herkunft zu stellen. Es bleibt kompliziert.
Wir haben den Text übersetzen lassen. Die albanische Version finden Sie hier.
Këtë tekst e kemi përkthyer. Versionin në gjuhën shqipe e gjeni këtu.
Die albanische Herkunft. Sie zieht mich an und stösst mich doch immer wieder ab. Ein Leben lang habe ich versucht, mich meiner Herkunft und den dort lebenden Menschen zu stellen, und konnte trotzdem nicht anders, als mich phasenweise schonungslos abzugrenzen; wie oft habe ich sie verdammt, diese albanischen Wurzeln, verleugnet habe ich sie zu Zeiten, um nicht weiter aufzufallen. Nannte mich einfach nur Tina, damit keiner nachfragt. Nicht, weil ich so sehr «nur Schweizerin» sein, sondern weil ich vor allem nicht als «Albanerin» gelten wollte.
Warum das? Was ich von klein auf mitbekommen habe, direkt oder auf Umwegen, war mir stets ein Gräuel: das Althergebrachte, die das albanische Selbstverständnis prägenden Traditionen, die selbst bei scheinbar aufgeklärten und liberalen Albanern in der Diaspora insgeheim weiterhin gepflegt werden; zum Beispiel, dass man um jeden Preis heiraten und Kinder kriegen muss. Man verstehe mich nicht falsch. Es ist nichts dabei, beides zu wollen, und die meisten Menschen wollen es, auch in der Schweiz.
Doch wenn Heiraten und Gebären wie ein kategorischer Imperativ den soziokulturellen Lebenszweck einer gesamten Ethnie bestimmen, ist das ein, wie ich finde, verheerender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen.
Wenn ich die Familie in der alten Heimat besuche, weiss keiner von ihnen so recht, wie er mit mir, einer bald vierzigjährigen Frau ohne Ehemann und Kind, umgehen soll.
Immerhin bin ich eine Frau mit Bildung, ich bin «e shkolluar», ja habe sogar einen Doktortitel; bei einer solchen Frau drückt man kulanterweise auch mal ein Auge zu. Ernst nehmen kann mich dennoch keiner. Die erste Frage, die ich gestellt bekomme, wenn ich jemandem vorgestellt werde: wie viele Kinder ich habe. Und wenn ich sage: keine, werde ich keines weiteren Blickes mehr gewürdigt. Dass man sich im Kosovo so verhält, mag vielleicht den einen oder anderen nicht überraschen. Doch auch die in der Schweiz lebende albanische Gemeinschaft scheint sich von diesen Denkweisen nicht ernsthaft befreit zu haben.
Neulich habe ich sie erneut zu spüren bekommen, diese traditionalistischen Fesseln, die ich mit Bezug auf meine Person gesprengt zu haben glaubte. Ich besuchte den engeren Familienkreis in Bern. Als wir alle beisammensassen, kam so nebenbei zur Sprache, dass eine in Deutschland lebende Grosscousine «einen Mann» für mich gefunden habe; gut aussehend, dreiundvierzig, Anwalt, natürlich Albaner.
Alle lachten, während ich verlegen errötete und innerlich Amok lief. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich einen Mann suche. Es spricht sich in der Community offenbar herum, wenn die erwachsenen Kinder unverheiratet bleiben. Dann kann die Sippe endlich zum Einsatz kommen! Obschon nun alle so taten, als wäre dieser erste Schritt zu einer arrangierten Ehe nur ein Witz und daher nicht weiter ernst zu nehmen, spürte ich doch für einen kurzen Moment, wie alle im Stillen hofften, dass ich Ja sage.
Doch ich sagte nichts und beschloss stattdessen, mich ab sofort wieder Tina zu nennen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.