Glosse zu SpracheWenig sagen – eine Menge meinen
Kafkaesk: Wenn ein Suffix verharmlost, was es verunheimlichen möchte.
Jetzt, 100 Jahre nach Franz Kafkas Tod, wird sein Einfluss wieder ausgebreitet. Auf die Literatur, auf das Leben, auf das Gefühl der Furcht, auf die Wahrnehmung der Macht.
Ausdruck davon war schon der Umstand, dass Kafka einer jener Schriftsteller war, dessen Namen mit einem Suffix verlängert wurde. Gemeint ist damit eine sogenannte Ableitungssilbe, die an ein Wort gehängt wird als Ausdruck der Ähnlichkeit.
«Kafkaesk», gelegentlich zu «kafkaesque» frankofoniert: Die Bezeichnung verdüstert ein Erlebnis zur Begegnung mit dem Unheimlichen. Vermittelt ein Gefühl des Ausgeliefertseins, etwa dem Gesetz oder einer Bürokratie gegenüber. Drückt nicht so sehr eine Angst aus als eine Verstörung als Vorbereitung auf die Panik.
In der Folge wurde das Ähnlichsein personell ausgeweitet. «Fellinesk» meint Lust und Fett nach dem Geschmack des ausschweifenden Regisseurs. «Zappaesk» verweist auf die satirische Komplexität des amerikanischen Komponisten. «Pythonesk» kombiniert hohe Bildung und anarchischen Unsinn im Geist der britischen Komikergruppe. «Chaplinesk» lobt einen Humor der Verletzlichkeit. Und «Dantesk» kennzeichnet eine höllische, also ausweglose Situation.
Auf diese Weise kann man wenig sagen und eine Menge meinen. Und dabei gar nicht merken, dass das Suffix verharmlost, was es intensivieren möchte. Denn «kafkaesk» erweist sich als Anleihe, nicht als Übernahme. Der grundlos Angeklagte in einem kafkaesken Drama wird sich nie so ausgeliefert fühlen wie Josef K. in Kafkas «Der Prozess», weil es bei der Ähnlichkeit bleibt. Kafka beschrieb ein existenzielles Gefühl der Bedrohung, «kafkaesk» ist ein blosses Zitat davon: die Vereinnahmung des Schreckens durch seine Anverwandlung.
Ist das nicht grotesk?
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