TV-Kritik «Tatort»Jugend auf Dopamin und Adrenalin – wir nicht
Im neuen Mainz-«Tatort» gibt Heike Makatsch als gestresste Kommissarin ihre Tochter ab und versucht, verirrten Jugendlichen das Handwerk zu legen.
Schon wieder eine junge blinde Frau, wie neulich im Kieler «Tatort». Schon wieder verstrickt sie sich in eine Beziehung mit einer kriminellen Person. Vielleicht hat man den Drehbuchautorinnen und -autoren mehr Inklusion verordnet, samt Überwindung des Klischees vom behinderten Opfer. Dies jedenfalls ist in «Blind Date» gelungen.
Regisseurin Ute Wieland führt uns so nah wie möglich heran an die Lebenswirklichkeit und Psyche der gehandicapten Jurastudentin Rosa (eine bravouröse Henriette Nagel). Rosa ist auf dem rechten Auge blind, das linke hat eine Sehkraft von 1 Prozent. Und wir erleben den Tankstellenüberfall zum Filmauftakt, bei dem jemand erschossen wird, genau wie sie: als Lichtfetzen, graue Schlieren, Schwärze. Dazu Schüsse und Schreie.
Immer wieder operiert die Regie in dem Krimi rund um drei Überfälle mit Rosas verstörender Perspektive, mit unheimlichen Geräuschen, Dunkelheit, Orientierungslosigkeit. Eigentlich will die junge Frau allein klarkommen, aber die biederen, besorgten Eltern können nicht loslassen. Umso aufregender ist es für sie, als Ohren- und Nasenzeugin des Verbrechens auch für das Täterpaar Sophie und Moritz interessant zu werden.
Sophie, eine bisexuelle BWL-Studentin mit superreichen Eltern, fängt mit Rosa eine leidenschaftliche Affäre an. Ob Sophie geschossen hat oder Moritz, will Rosa da gar nicht wissen; nur, warum. Die Antwort: «Adrenalin, Serotonin, Dopamin.» Anica Happich und Jan Bülow geben überzeugend das wohlstandsverwahrloste Duo, das aus Langeweile und Dünkel eine Bonnie-und-Clyde-Fantasie ausagiert.
Dieses Szenario begreifen schnell auch Kommissarin Berlinger und Kollege Rascher. Rascher – angenehm unterkühlt: Sebastian Blomberg – diagnostiziert: «Affluenza», die Verderbtheit derer, die zu viel Geld und Zeit und keinen moralischen Kompass haben, das «Rich Kids»-Syndrom.
Doch es fehlen die Beweise. Zudem schlägt sich die Kommissarin – es ist Heike Makatschs dritter Berlinger-Fall – mit anderen Problemen herum: «Ich bin alleinerziehend, meine Tochter müsste ins Waisenhaus.» Das Drama ihrer mangelnden Muttergefühle rückt zeitweise in den Vordergrund. Und es nervt.
Nun hat diese Thematik die Öffentlichkeit in den letzten Jahren durchaus beschäftigt und wurde hier sehr politisch korrekt durchgeführt. Ja, eine Mutter darf unmütterlich sein, andere Prioritäten haben. Trotzdem macht diese Nebenstory einem sogar eine Makatsch madig. Das realisierte wohl auch Drehbuchautor Wolfgang Stauch; so wird das Töchterchen endlich beim Vater parkiert.
Kurz: Sympathieträger ist hier niemand. Nicht die Blinde, die ihren überfürsorglichen Papa die Treppe runterstösst. Nicht die verkorkste Kommissarin, nicht ihr traumatisierter Sidekick. Dass im blutigen Finale auf einmal Gefühligkeiten und grosse Worte hochkochen, sieht fast nach Feigheit aus: Hat man dem Publikum die wummernde Härte all dieser Reissbrettfiguren doch nicht zugetraut? Dieses «Blind Date» war kein Volltreffer.
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