Was wir lesenEin Buch wie eine Umarmung
Mit Joseph Roths «Radetzkymarsch» verbindet unser Autor eine enge Freundschaft.
Es gibt Bücher, die wie schnelle Räusche funktionieren: Wir geben uns ihnen hin und lassen uns euphorisch mit ihnen treiben. Andere Bücher verlangen uns etwas ab, manchmal viel. Sie machen uns stolz, wenn wir ihre Steigungen bezwingen.
«Radetzkymarsch» gehört weder zu diesen noch zu jenen Büchern. «Radetzkymarsch» ist ein Buch, das ich nicht bloss lese oder wieder lese, sondern mit dem mich eine enge Freundschaft verbindet. Joseph Roth, dieser grösste unter den grossen Autoren Österreichs, geboren 1894 in Galizien, auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, gestorben 1939 in Paris, hat mit «Radetzkymarsch» nicht nur Aufstieg und Fall der Familie Trotta beschrieben, sondern den Zerfall der Habsburgermonarchie, eines Traums, einer Hoffnung. Vater Trotta, ein Militärinvalide. Sein Sohn Joseph, der zum «Helden von Solferino» wird, weil er dem jungen Kaiser in dieser Schlacht das Leben rettet. Dessen Sohn Carl Joseph, der an der Last des väterlichen Ruhms zerbricht.
«Radetzkymarsch» ist das Buch, zu dem ich greife, will ich mich in den vertrauten Klang einer Sprache hüllen, in der alles enthalten ist: Klarheit, das vor allem, denn kein Satz Roths ist übergewichtig (und keiner so lächerlich heruntergehungert wie etwa die Prosa Hemingways). Humor, selbst in den tragischen Szenen. Und Wehmut, die der Liebe des Autors zu seinen Figuren entspringt, die er scheiternd bis zum bitteren Ende begleiten muss, deren Glauben an ein geordnetes, sinnvolles Miteinander er enttäuscht, auch wenn er sich nach Kräften dagegen wehrt.
Freundschaft zu einem Buch bedeutet für mich, es wieder zu lesen, obwohl ich die Geschichte längst kenne. Schliesslich möchte ich die Trottas wiedersehen und mich immer wieder neu umarmen lassen von dieser Sprache, die es kein zweites Mal gibt.
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