Was wir lesenMänner, die meckern
Daniela Dröscher schreibt in ihrem brillanten Roman «Lügen über meine Mutter» über «Protestmännlichkeit».
Auf Alfred Adler, den Begründer der Individualpsychologie, geht der Begriff «Protestmännlichkeit» zurück. Er beschreibt das typische Verhalten von Männern, sich über Dinge aufzuregen, die sie nicht verändern können: miese Vorgesetzte, unfähige Politiker, katastrophale Autofahrer. Protestmänner sind ständig am Besserwissen, Bescheidwissen und Korrigieren, ohne dass sich wirklich etwas verändern würde. Hinzu kommt der ständige Vergleich mit anderen («Der wurde befördert? – Ich nicht!») und der übertriebene Stolz, dass einem eigentlich mehr zustünde.
Diese Unart, an allem herumzunörgeln und andere für das eigene Unglück verantwortlich zu machen, ist der Ausgangspunkt von Daniela Dröschers brillantem Roman «Lügen über meine Mutter». Ein protestmännlicher Ehemann kompensiert seinen eigenen Minderwertigkeitskomplex, indem er konstant das Äussere seiner Frau kommentiert, kritisiert, sie zu Diäten zwingt und die Leibesfülle seiner Frau sogar für das Stagnieren seiner Karriere verantwortlich macht, da er sich mit ihr nirgends sehen lassen könne.
Erzählt wird das Familiendrama aus der Sicht der Tochter Ela, die verzweifelt versucht, die Stimmung zu retten, zu ihrer Mutter zu halten, und zugleich schleichend den zerstörerischen Blick ihres Vaters auf den Körper der Mutter übernimmt.
Es ist trotz aller patriarchalen Härte die Geschichte einer Annäherung von Mutter und Tochter. Jedes Kapitel wird unterbrochen von Reflexionen, in denen die Tochter aus dem Heute ihre Erinnerung kommentiert. Dabei erfahren wir, wie sie den verinnerlichten sexistischen Blick wieder zu verlernen versucht, um die Mutter mit eigenen Augen zu sehen.
Und ganz nebenbei ist «Lügen über meine Mutter» auch ein grausam genaues Porträt der 1980er-Jahre. Beim Lesen sieht man alles wieder vor sich: Hubba Bubba, Sunkist und Knoppers. Die Hollywoodschaukel im Garten, das Freibad und den Tennisplatz. Und einen Vater, der immer fuchsteufelswild wird.
Fuchsteufelswild. Viel um die Ohren haben. Hals über Kopf. Mit Grabesmiene. Die Ohren lang ziehen. In diesen eigenartigen deutschen Redewendungen – die Dröscher konsequent kursiv schreibt – werden die bedrückende Enge und die grosse Trostlosigkeit Westdeutschlands noch einmal richtig lebendig.
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