Streit um NordirlandJohnson riskiert einen Handelskrieg mit der EU
Die britische Regierung will das Nordirland-Protokoll per Gesetz aushebeln, falls die EU Änderungen ablehnt. Kritiker der Aktion gehen davon aus, dass solcher Vertragsbruch von Boris Johnson seit langem geplant war.
Nur eine «Rückversicherung» soll es sein, keine Provokation «unserer lieben Freunde». Natürlich wollen Boris und seine Minister keinen «Krieg» mit der EU. Seine Tür, hat der Briten-Premier diese Woche erklärt, stehe «weit offen» für Gespräche, für Friedensverhandlungen. Nur halt für den Fall, dass sich die Europäer unnachgiebig zeigen sollten, will London jenes noch namenlose Gesetz in Reserve haben, das schon jetzt für eine Menge Aufregung in Dublin und in anderen Hauptstädten Europas sorgt.
«Das Gesetz», das am Dienstag von Aussenministerin Liz Truss in Westminster angekündigt wurde, hat es freilich auch in sich. Käme es durchs Parlament und danach zur Anwendung, riskierte Johnsons Regierung einen regelrechten Handelskrieg mit der EU, diplomatische Verwicklungen allerorten und ernste Konflikte mit Joe Bidens Administration.
Alarmstimmung macht sich breit
Schon dass London die Vorlage des Gesetzes im Unterhaus nun «für die nächsten Wochen» plant, erhöht die Spannungen merklich. In der Republik Irland macht sich bereits Alarmstimmung breit. Kein Wunder – denn «das Gesetz» gibt Johnson die Handhabe zu einem Verstoss gegen geltende Verträge. Es soll ihm erlauben, Teile des Abkommens zum britischen Austritt aus der EU, das er im Oktober 2019 mit Brüssel aushandelte, einseitig ausser Kraft zu setzen, wenn er will.
Mithilfe des neuen Gesetzes sollen Teile des sogenannten Nordirland-Protokolls im Brexit-Vertrag gelöscht werden können, so die EU nicht bereit ist, einer Revision dieses Protokolls freiwillig zuzustimmen. Das Nordirland-Protokoll regelt die Post-Brexit-Konsequenzen des vereinbarten Verbleibs Nordirlands im Europäischen Binnenmarkt, die ganz spezifischen Handelsregeln für die Provinz. Verpflichtungen, die die britische Regierung in diesem Protokoll eingegangen ist, will sie nun wieder nach eigenem Gutdünken tilgen – schon weil Nordirlands Unionisten sich gegen «die Grenze in der Irischen See» wehren, die die EU ihrer Ansicht nach dort errichtet hat.
Heimliche Pläne
Bereits im Februar hatte der Vorsitzende der Demokratischen Unionisten, Sir Jeffrey Donaldson, ja die gesamte nordirische Selbstverwaltung lahmgelegt im Protest gegen das Protokoll. Zur politischen Kooperation will Donaldson sich erst wieder bereitfinden, wenn das Protokoll gekippt ist: Wenn London «nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten» vorgegangen ist «gegen diesen Affront». Dabei war es just die DUP gewesen, die die im Nordirland-Protokoll festgehaltene Sonderrolle der Provinz mit herbeigeführt hatte bei den entscheidenden Weichenstellungen – woran sie heute nicht gern erinnert werden will.
Kritiker des Premiers, auch in seiner eigenen Partei, gehen davon aus, dass Johnson nie meinte, was er sagte. Dass er nur um jeden Preis «seinen» Brexit unter Dach und Fach haben wollte. Schon im Februar 2020, keine drei Monate nach seinem Wahltriumph, enthüllte Londons «Sunday Times», dass Johnsons Team «heimlich» an Plänen arbeite, mit deren Hilfe das Protokoll ausser Kraft gesetzt werden könnte.
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