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Vakzin-Wettrennen als Propaganda
Johnson feiert Impf-Primeur als Brexit-Erfolg

«Das ist fantastisch»: Premier Boris Johnson feierte die Zulassung des Corona-Impstoffes in Grossbritannien auch als Erfolg seiner Brexit-Politik.
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Es ist nicht so, dass Boris Johnson es nicht versucht hätte. Am Dienstagabend nahm er seine widerspenstigen Abgeordneten noch einmal persönlich ins Gebet, um sie auf Regierungslinie zu bringen. Doch es half nichts, am Ende erlitt der Premierminister die grösste Niederlage bei einer Unterhaus-Abstimmung in seiner bisherigen Amtszeit. 54 Tory-Abgeordnete sprachen sich gegen die Corona-Verordnung der Regierung aus, 16 stimmten gar nicht erst ab. Hätten sich auf Oppositionsseite nicht so viele Parlamentarier enthalten, wäre Johnson mit seinen neuen Corona-Vorschriften gescheitert. Dazu kam es am Ende nicht, aber für den Premier bedeutet das Ergebnis einen gewaltigen Autoritätsverlust.

Von diesem Donnerstag an ist der zweite Lockdown in England vorbei, die Regionen sind nun in drei Stufen eingeteilt. Vereinfacht gesagt ist es so: Je höher die Corona-Infektionszahlen, desto stärker die Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Während etwa in London Pubs und Restaurants wieder öffnen dürfen, bleiben sie in weiten Teilen Nordenglands geschlossen. Und so werden all jene Abgeordneten weiter gegen Johnson rebellieren, in deren Wahlkreisen lockdownähnliche Vorschriften gelten. Viele Tories sehen darin unnötig drakonische Massnahmen, die vor allem der Wirtschaft schaden, gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit. Immerhin gibt es einen Lichtblick für Johnsons Kritiker: Die Massnahmen, die nun bis Anfang Februar gelten, werden alle zwei Wochen überprüft – und können je nach Infektionsgeschehen gelockert werden.

Schnellere Zulassung dank Brexit

Seit Mittwochmorgen gibt es allerdings noch einen ganz anderen Grund, die Hoffnung nicht aufzugeben: Als erstes westliches Land hat Grossbritannien einen Corona-Impfstoff zugelassen. «Das ist fantastisch», twitterte Johnson sogleich voller Euphorie. «Es ist der Schutz der Impfstoffe, der uns letztendlich erlaubt, unser Leben zurückzugewinnen und die Wirtschaft wieder in Bewegung zu bringen.»

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Die Impfung (lesen Sie dazu auch: Acht Fragen zum Impfstart – Kann man sich nach der Impfung noch infizieren?) werde von nächster Woche an verfügbar sein, versprach der Premierminister. Man erwarte den Einsatz «mehrerer Millionen Dosen» bis zum Ende des Jahres, sagte Johnson am Abend auf einer Pressekonferenz im Regierungssitz Downing Street. Johnson lobte den Einsatz der beteiligten Wissenschaftler. Diese seien dem Virus mit «biologischem Jiu Jitsu» zu Leibe gerückt, schwärmte der britische Regierungschef. Es dauerte nicht lange, bis die Regierung auch den Grund dafür ausmachte, warum ausgerechnet Grossbritannien vor der EU und den USA in der Lage war, einen Impfstoff zuzulassen: dem Brexit sei Dank.

Europäer bewegen sich langsamer

Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sagte dem Radiosender der Times, dass die britische Aufsichtsbehörde MHRA nun mal eine Weltklasse-Behörde sei und wegen des Brexit nicht mehr das Tempo der Europäer gehen müsse. Denn die bewegten sich ein bisschen langsamer. Es seien, versicherte Hancock, alle Sicherheitschecks und de facto die gleichen Prozesse wie auf EU-Seite durchlaufen worden. Fest stehe aber: «Wegen des Brexit waren wir in der Lage, den Ablauf zu beschleunigen.» Ganz so stimmt das allerdings nicht. Denn im Grunde wäre jeder EU-Staat rechtlich in der Lage, eine Notfallzulassung à la London durchzusetzen. Das Faktum änderte aber nichts daran, dass die britische Regierung diesen durchaus bedeutenden Moment als eine Art Brexit-Dividende pries.

Es war am Mittwoch dann der deutsche Botschafter in London, Andreas Michaelis, der die Briten daran erinnerte, dass der zugelassene Impfstoff keine Erfindung aus Grossbritannien ist. «Warum ist es so schwer, diesen Schritt nach vorne als grossartige internationale Anstrengung und Erfolg anzuerkennen?», schrieb der Diplomat auf Twitter. Obwohl die deutsche Firma Biontech einen entscheidenden Beitrag geleistet habe, sei das keine nationale Geschichte, sondern «europäisch und transatlantisch», erklärte der Botschafter.

Michaelis antwortete damit auf einen Tweet des britischen Wirtschaftsministers Alok Sharma, der verkündet hatte: «Grossbritannien war das erste Land, das einen Vertrag mit Pfizer/Biontech geschlossen hat – jetzt werden wir die ersten sein, die den Impfstoff einsetzen.» Und dann fügte er noch hinzu: «In den kommenden Jahren werden wir uns an diesen Moment als den Tag erinnern, an dem Grossbritannien die Initiative der Menschheit gegen diese Seuche ergriffen hat.»

Eine Impfpflicht, sagt Johnson, sei nicht Teil der britischen Kultur

Für Johnson ist die Zulassung des Corona-Impfstoffes gleich in dreifacher Hinsicht ein Geschenk. Er kann damit erstens die Rebellen in seiner Partei befrieden, schliesslich gibt es jetzt Licht am Ende des Tunnels. Zweitens hat Johnson der westlichen Welt gezeigt, dass Grossbritannien den Wettlauf um eine Impfstoff-Zulassung gewonnen hat; den Brexiteers will er glauben machen, dass dies am EU-Austritt liegt. Drittens hat Johnson der EU in der Endphase der Brexit-Verhandlungen damit signalisiert, dass er sich von den oftmals langwierigen Prozessen der Gemeinschaft verabschiedet hat. Die Impfzulassung ist für ihn ein Symbol der langersehnten Souveränität – und diese zum Wohl der britischen Bevölkerung.

Die Auslieferung des Impfstoffes soll nun umgehend erfolgen. Zunächst gibt es 800'000 Impfungen, zunächst wohl für die Bewohner von Alters- und Pflegeheimen sowie für Beschäftigte im Gesundheitsbereich. Wann breite Teile der Bevölkerung geimpft werden können, hängt davon ab, wie schnell der Impfstoff produziert und ausgeliefert werden kann. Eine gesetzliche Impfpflicht werde es nicht geben, sagte Johnson, dies sei nicht Teil der britischen Kultur.

Der Premierminister hofft nun, dass sich der Blick auf Grossbritannien zum Positiven verändert, denn in keinem anderen europäischen Land sind bislang mehr Menschen am Coronavirus gestorben. Der Vermerk «Covid-19» findet sich mittlerweile auf mehr als 60'000 Sterbeurkunden. Johnson beteuerte zwar immer wieder, es sei noch zu früh, um internationale Vergleiche zu ziehen, schliesslich wisse niemand, wann die Krise vorbei sei. Aber schon jetzt steht fest: Die Corona-Pandemie hat das Vereinigte Königreich mit am härtesten in Europa getroffen. Am Dienstag verzeichnete das Land 603 neue Todesfälle. Die Zahl der Neuinfektionen lag bei 13'430.