Jimmy und Rosalynn CarterSelbst das Sterben gestalten sie vorbildlich
Jimmy Carter, selbst dem Tod nahe, hat öffentlich Abschied genommen von seiner verstorbenen Ehefrau. Einmal mehr hat der frühere US-Präsident damit Tabus gebrochen.

Selten sind Menschen so gebrechlich in der Öffentlichkeit zu sehen wie Jimmy Carter am Dienstag. Der 99 Jahre alte frühere US-Präsident nahm bei einer öffentlichen Trauerfeier Abschied von Rosalynn Carter, 77 Jahre lang seine Ehefrau.
Auch von seinem Leben nimmt Carter gerade Abschied. In einem Rollstuhl liess er sich in die Kirche rollen, die Haut bleich, der Mund offen, die Wangen hohl, die dünnen Beinchen in eine Decke gehüllt. Augenkontakt machte der hochbetagte Mann kaum, auch vor der Trauergemeinde sprechen konnte er nicht mehr.
Körperlich geschwächt, aber präsent
Aber er sass da, in der vordersten Reihe in einer Kirche an der Emory University in Atlanta, in schwarzem Anzug, weissem Hemd und dunkler Krawatte. Nicht ein Schatten seiner selbst, wie es so oft heisst, sondern im Gegenteil ein Mann, der alle Abschnitte seines Lebens bewusst lebt und gestaltet, stets als aufrechter, kompletter Mensch, auch wenn die körperlichen und geistigen Kräfte sichtbar nachlassen.
Seine Kinder machten sich Sorgen, dass sich Jimmy Carter überfordern könnte mit der Teilnahme an der Trauerfeier. «Er nähert sich seinem Ende, er ist körperlich sehr, sehr geschwächt», sagte sein Enkel Jason Carter der «New York Times». Mehr als 200 Kilometer weit war die Anreise vom Heim der Carters in Plains, Georgia, in die Hauptstadt Atlanta, ein überaus anstrengender Weg für einen 99-Jährigen, der schon vor zehn Monaten entschieden hatte, die medizinischen Behandlungen auf ein Minimum zurückzufahren. Er verbringt seine verbleibende Zeit in Palliativpflege und geht davon aus, dass er demnächst sterben wird.
Carter ist ausserordentlich willensstark. Er gilt als der meistunterschätzte US-Präsident.
Carter ist schon seit Jahren vom Alter gezeichnet, doch er verzichtete deswegen nicht darauf, in der Öffentlichkeit aufzutreten, allen Bedenken seiner Familie zum Trotz. Im September liess er sich im schwarzen SUV an das traditionelle Erdnuss-Erntefest in seiner Heimatstadt fahren, das letzte Mal mit Rosalynn an seiner Seite.
Typisch für ihn ist auch eine Anekdote, die sich vor vier Jahren zugetragen hat. Bei einem Sturz hatte er sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen. Mit 14 Stichen und blauem Auge flog er nach Nashville und nagelte für ein Hilfswerk Holzbalken zusammen. Er müsse Häuser bauen, beschied er den Umstehenden. Auch von einem Beckenbruch wenig später liess er sich nicht davon abhalten, in seiner Kirche den Sonntagsunterricht zu geben.
Als einen der willensstärksten Menschen, die er je getroffen habe, beschreibt der Präsidentenhistoriker Douglas Brinkley Jimmy Carter. Damit hat sich der Demokrat nach dem Ende seiner Präsidentschaft mehr Respekt erarbeitet als im Amt selbst. Nur vier Jahre lang hatte er im Weissen Haus gedient, mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Wiederwahl verpasste er nach der Schmach einer gescheiterten Rettungsaktion für amerikanische Geiseln im islamistischen Iran. Heute gilt er als der meistunterschätzte US-Präsident.
Auch das Lebensende haben sie gestaltet
Danach widmete sich Carter der ehrenamtlichen Arbeit, verhandelte für die USA im Nahen und im Fernen Osten, setzte sich für die Menschenrechte ein, erhielt den Friedensnobelpreis, machte zusammen mit seiner Frau Rosalynn darauf aufmerksam, wie wichtig die psychische Gesundheit ist, versuchte, physische und psychische Krankheiten von ihrem Stigma zu befreien. Offensiv kommunizierten die beiden, als zuerst Jimmy und im November auch die an Demenz erkrankte Rosalynn sich zur Palliativpflege entschieden, auch das beide Male Schritte, die das Lebensende von Tabus befreien sollen.
Rosalynn Carter starb wenige Tage später, am 19. November, im Alter von 96 Jahren. Nach der öffentlichen Trauerfeier in Atlanta nahmen ihr Mann und ihre Familie am Mittwoch im privaten Rahmen noch einmal von ihr Abschied, bevor sie in Plains beigesetzt wurde, auf dem Anwesen der Carters. Jimmy Carter will dereinst gleich neben ihr begraben werden.
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