Stühlerücken bei der UBSJetzt übernimmt der «Google-Banker»
Jovial, datengetrieben, visionär: Am Montag tritt Ralph Hamers die Nachfolge von Sergio Ermotti an. Ein Clash der Kulturen ist bei der UBS programmiert.
Es ist sehr selten, dass Bankenchefs Gefühle zeigen. Oder gar öffentlich weinen. Es könnte als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Ralph Hamers ist das offensichtlich egal.
Im Internet findet sich ein Abschiedsvideo, das die niederländische Grossbank ING für ihren langjährigen Chef gedreht hat. Darin plaudert Hamers, das Hemd lässig aufgeknöpft, zunächst über seine fast dreissig Jahre bei der ING. Als Hamers’ Frau Patricia dazustösst, kann er die Tränen nicht zurückhalten.
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Ralph Hamers hatte seine Frau einst bei der Bank kennen gelernt. Und wenn Patricia Hamers mit Blick auf den Umzug in die Schweiz sagt: «Wir lassen unsere Familie zurück», dann ist nicht ganz klar, welche Familie sie meint. Die Kernfamilie. Oder die Bankfamilie. Und ob es da für CEO Hamers überhaupt einen Unterschied gibt. Bei der ING jedenfalls war er für alle nur der «Ralph».
Bei der UBS, wo Hamers am Montag den Chefposten übernimmt, muss er sich an ein steiferes Umfeld gewöhnen. Offene Hemdknöpfe? Tränen in der Öffentlichkeit? Lockere Du-Kultur? Undenkbar.
In der Bankenbranche gilt Hamers als Revolutionär. Die «Financial Times» nannte ihn einmal den «Google-Banker», weil Hamers den Bankriesen ING zu einer Art Techkonzern mit angeschlossenem Bankgeschäft formte. Und dieser Mann, der kaum Erfahrung im Geschäft mit den Reichen und Superreichen dieser Welt hat, soll nun die grösste Vermögensverwaltungsbank der Welt führen? Ein Unternehmen, das noch heute nach militärischer Top-down-Mentalität funktioniert?
Ein Nobody – selbst für UBS-Topmanager
Nicht wenige am Finanzplatz zweifeln, dass das gut geht. UBS-Präsident Axel Weber, die treibende Kraft hinter Hamers’ Berufung, hat solche Bedenken schon bei der Vorstellung des Neuen vom Tisch gewischt: Hamers habe sechs Jahre eine systemrelevante Bank geführt und verfüge über einen Leistungsausweis in der Digitalisierung, sagte Weber. Beim Private Banking könne Hamers auf die Expertise in der Bank zählen. Doch während Axel Weber Ralph Hamers engagiert verteidigte, mussten sogar einige UBS-Topmanager erst einmal googeln, wer der Neue überhaupt ist.
Der 54-Jährige hat fast seine gesamte Karriere bei der ING verbracht, bei der er 1991 anheuerte. Das Geschäft mit strukturierten Finanzierungen war dort seine erste Station. Studiert hat der gläubige Katholik Ökonometrie an der Universität Tilburg. Das Studium prägt ihn laut Wegbegleitern bis heute. Hamers sei extrem datenverliebt und lasse alles bis ins letzte Detail durchrechnen, heisst es.
1999 schickt ihn die ING nach Rumänien. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Wirtschaft in Osteuropa hebt erstmals seit der Wende richtig ab. Hamers beeindruckt seine Chefs in den Niederlanden. Nach sechs Jahren holen sie ihn zurück. Zu Hause, im Kernmarkt, warten wichtigere Aufgaben auf ihn.
2013 folgt der ganz grosse Karrieresprung. Als vielversprechende Nachwuchskraft wird Hamers eingeladen, dem ING-Aufsichtsrat seine Vision der Bank der Zukunft zu präsentieren. Der Vorstand ist so beeindruckt, dass er Hamers kurzum zum Konzernchef ernennt und die Kandidaten aus der eigenen Geschäftsleitung übergeht.
Ein Umbau mit Folgen
Hamers hat die Aussage von Microsoft-Gründer Bill Gates verinnerlicht: «Banking is essential, banks are not.» Eine Bank im Internetzeitalter müsse ihre Produkte einfach und jederzeit zugänglich ihren Kunden dank modernster Technologie anbieten können. Die Digitalisierung ist dabei für Hamers kein Selbstzweck, sondern soll den Kunden das Leben leichter machen.
Für teure Bankniederlassungen ist da wenig Platz. 2016 verpasste Hamers der ING einen Radikalumbau. Er strich 5800 Jobs, versetzte 1200 Mitarbeiter und kürzte in Belgien und den Niederlanden das Filialnetz zusammen. Dafür expandierte die ING unter seiner Führung in neue Märkte.
Auch vor grossen Deals hat Hamers keine Angst: So interessierte er sich vor kurzem noch für einen Zusammenschluss mit der deutschen Commerzbank. Dafür soll er der Bundesregierung sogar angeboten haben, die Konzernzentrale nach Frankfurt zu verlegen.
Kleine Teams, kurze Sitzungen
Um die Produktentwicklung zu beschleunigen, schwört Hamers auf kleine, bereichsübergreifende Teams. Meetings hält er am liebsten im Stehen ab, so sind sie fokussierter. Zum Ausdruck kommt dieser Stil auch im neuen Konzernsitz der ING. Dort gibt es keine Einzelbüros mehr, aber viele Orte, wo sich Mitarbeiter spontan treffen können. Die teuer renovierte Zentrale der UBS an der Bahnhofstrasse mit ihren Marmorböden wirkt da fast schon museal.
«Er ist ein sympathischer Mensch und versteht ohne Zweifel das Bankgeschäft», lobt ihn ein Topmanager eines Wettbewerbers, der Hamers seit Jahren kennt. Seine mangelnde Erfahrung in der Vermögensverwaltung sei kein Problem: «Das Bankgeschäft besteht heute vor allem aus Prozessen und IT. Und hier hat Hamers eine Menge Erfahrung.»
Vom Billig-CEO zum Bankenkrösus
Unter Hamers’ Führung gewann die ING rund sieben Millionen neue Kunden. Die Kosten konnte er so weit drücken, dass sie weniger als 60 Cents von jedem Euro Einnahmen wegfressen. Bei der UBS lag diese Einnahmen-Kosten-Quote zuletzt bei knapp 76 Prozent – allerdings lassen sich beide Banken kaum vergleichen: So ist die ING vor allem im Privatkundengeschäft unterwegs, nicht im Investmentbanking. Die Corona-Krise hat Hamers’ Abschiedsbilanz aber getrübt. Wegen hoher Abschreibungen auf Zukäufen und Rückstellungen brach der Gewinn im 2. Quartal um 80 Prozent ein. Auch die ING-Aktie steht jetzt wieder dort, wo sie sich vor Hamers’ Antritt 2013 befand.
Auch sonst erlebte Hamers einige Misserfolge. Sein Vorzeigeprojekt, die Zusammenführung der Banksysteme in den ING-Kernmärkten Niederlande und Belgien, blieb Stückwerk. Zudem musste die ING 2018 775 Millionen Euro Busse zahlen, weil die Bank ihre Geldwäsche-Risiken nicht im Griff hatte. Hamers entschuldigte sich öffentlich – und feuerte seinen Finanzchef.
Und dann war da noch der Streit um Hamers’ Lohn: Nachdem der niederländische Staat in der Finanzkrise die ING gerettet hatte, deckelte er die Saläre der Bankführung. Als die ING den Staatskredit zurückgezahlt hatte, wollte der Verwaltungsrat Hamers’ Lohn um 50 Prozent auf maximal 3 Millionen Euro erhöhen. Der Plan löste einen Aufschrei in den Niederlanden aus. Der Aufsichtsrat ruderte eilig zurück. Die Episode dürfte dazu geführt haben, dass Hamers zugänglicher für Angebote von der Konkurrenz wurde.
War er bei der ING einer der am schlechtesten bezahlten CEOs einer Grossbank, dürfte Hamers bei der UBS zu einem der am besten bezahlten aufsteigen – zumindest in Europa. 2019 bekam sein Vorgänger Sergio Ermotti eine Gesamtvergütung von 12,5 Millionen Franken.
Chef ohne Hausmacht
Dafür werden von Hamers aber auch rasch Resultate erwartet: Nachdem Sergio Ermotti die Bank auf das Kerngeschäft der Vermögensverwaltung fokussiert und stabilisiert hat, soll Hamers die internen Strukturen verschlanken. «Wir sind zu bürokratisch, wir sind zu teuer», klagt ein ranghoher UBS-Manager. Es gebe zu viele Chefs und Chefchefs und eine zu mächtige Compliance, heisst es intern.
«Hamers hat Erfahrung, wie man Anpassungen vornehmen kann, etwa bei der Verschlankung interner Prozesse», sagt daher Andreas Venditti, Bank-Analyst der Privatbank Vontobel. «Die Frage ist aber, ob er sich überall durchsetzen kann, denn er hat keine Hausmacht.»
Hamers hatte zwar angekündigt, dass er keine Vertrauten in die Schweiz mitbringen werde, um sie in der Geschäftsleitung zu installieren. Doch intern wird mit einem Umbau der nicht mehr ganz taufrischen Führung der UBS gerechnet. Spannend wird zu sehen sein, wie Hamers mit dem ehrgeizigen Co-Leiter der Vermögensverwaltung, Iqbal Khan, zurechtkommen wird.
Kostenpunkt: Filialnetz
Als ausgemacht gilt, dass Hamers sich das Schweizer Filialnetz der UBS vorknöpfen wird. Wettbewerber Credit Suisse will künftig noch mit 109 Niederlassungen auskommen. Die UBS dagegen leistet sich noch 267 Zweigstellen. Dabei hat die Corona-Krise gezeigt, dass die meisten Kundinnen und Kunden mit Onlinebanking gut zurechtkommen.
Hamers kommt zum richtigen Moment: Jeweils im September zieht sich die Bankführung zu einer Strategietagung zurück. Wie aus verschiedenen Quellen zu hören ist, laufen bereits Vorbereitungen für einen grösseren Umbau. «Projekt Letzi» heisst der Plan intern, zu dem bisher so gut wie nichts nach aussen gedrungen ist. Dem Vernehmen nach dürften dazu aber noch in diesem Jahr Ankündigungen kommen.
Nach dem rührigen Abschied in den Niederlanden, wird Hamers in Zürich wohl einen eher kühlen Empfang erleben.
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