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Wahlen in Brasilien
Jetzt tobt der Religionskrieg zwischen Lula und Bolsonaro

Religion ist ein wichtiges Mittel im Wahlkampf. Lula-Unterstützer und -Unterstützerinnen tanzen mit einer Flagge des Präsidentschaftskandidaten in der Stadt Belém anlässlich einer religiösen Prozession am 8. Oktober 2022. 
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Vergangene Woche sah sich das Team von Luiz Inácio Lula da Silva genötigt, ein ungewöhnliches Statement abzugeben: Nein, der linke Präsidentschaftskandidat sei keinen Pakt mit dem Teufel eingegangen, hiess es da auf Instagram. Auf dem Fotoportal folgen immerhin mehr als acht Millionen Menschen dem Politiker. Lula habe auch nie mit dem Teufel geredet, stand da weiter geschrieben: «Er glaubt an Gott und ist Christ.» Und als ob es noch irgendwelcher Beweise bedürfe, sah man darüber ein Bild des 76-Jährigen, die Hände fromm gefaltet zum Gebet.

Rund drei Wochen noch, dann findet in Südamerikas grösster Demokratie die Stichwahl für das Präsidentenamt statt. Die Abstimmung am 30. Oktober gilt als wichtigste in der jüngeren Geschichte des Landes, neben dem linken Ex-Präsidenten Lula da Silva tritt auch noch der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro an. Gekämpft wird mit fast allen Mitteln und längst ist klar: Wer gewinnen will, muss nicht nur die besseren Argumente auf seiner Seite haben, sondern auch Gott – oder besser gesagt: die Kirchen des riesigen Landes.

Prediger und Pfarrer

Brasilien hat mehr als 210 Millionen Einwohner, von denen viele immer noch tief gläubig sind. Nirgendwo auf der Welt leben mehr Katholiken, und auch wenn ihre Zahl seit Jahrzehnten rückläufig ist, so steigt doch gleichzeitig der Anteil der Menschen, die Mitglied einer evangelikalen Gemeinde sind: Sie machen heute schon rund ein Drittel der Bevölkerung aus.

Noch im hintersten Winkel Amazoniens gibt es meist eine Kirche und dazu noch einen Tempel einen der evangelikalen oder der Pfingstgemeinden. In den Armenvierteln betet man in kahl gekachelten Hinterhofräumen, im Zentrum der Metropolen dagegen in pompösen Hallen, die Platz für Tausende Gläubige bieten. Was die Prediger und Pfarrer in den Gottesdiensten sagen, das wird oft auch noch über eigene Fernsehsender und Radiostationen verbreitet. Die Reichweite der Kirchenoberen ist riesig, ihr Einfluss darum auch, und so ist Religion in Brasilien längst auch zu einem Machtfaktor geworden.

«Brasilien über alles, Gott über allen»

2018 gewann Präsident Jair Bolsonaro wohl vor allem auch deshalb die Wahl, weil die grossen evangelikalen Kirchen ihn unterstützten und ihre Mitglieder dazu aufriefen, dem rechten Politiker ihre Stimme zu geben. Und nun, vier Jahre später, ist der Glaube zu einem zentralen Thema im Wahlkampf geworden.

«Brasilien über alles, Gott über allen», so lautet das selbst gewählte Motto von Amtsinhaber Jair Bolsonaro. In Wahlkampfreden zitiert Brasiliens Präsident gern Bibelverse, der 67-Jährige ist selbst katholisch, seine Frau Michelle aber ist evangelikale Christin. Im Netz postet sie Videos von sich beim Gebet im Büro ihres Gatten. Der Präsidentschaftspalast, sagt sie, sei ein Ort, der zuvor von Dämonen entweiht worden sei. Wer damit gemeint ist, ist klar: Lula da Silva und seine linke Arbeiterpartei PT.

Jair Bolsonaro, der Präsident Brasiliens, sprach am 9. Oktober 2022 vor den Medien in der Hauptstadt. 

Brasiliens First Lady sieht in der brasilianischen Präsidentenwahl einen Kampf von Gut gegen Böse, und viele Anhänger ihres Mannes sind da ihrer Meinung. Viele glauben, dass die Messe in der Kirche verboten werden könnte, sollte die Linke wieder an die Macht kommen. Eine Falschnachricht, die sich hartnäckig hält.

Wie weit die Macht dieser Gerüchte geht, hat man in den vergangenen Tagen gesehen: Bolsonaro-treue Social-Media-Gruppen und -Netzwerke wurden regelrecht überschwemmt mit Videos und Meldungen, die behaupten, Lula sei einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Das mag für Aussenstehende nach mittelalterlichem Nonsens klingen, für viele gläubige Brasilianer sind solche Falschnachrichten scheinbar aber so plausibel, dass Lula da Silva und sein Team es am Ende für notwendig hielten, die Anschuldigungen öffentlich zu widerlegen.

Lula mit dem Papst

Gleichzeitig hat aber auch Lula da Silva selbst längst ebenfalls Religion und Glauben zum Teil seiner Kampagne gemacht. Bei seinem offiziellen Wahlkampfauftakt sagte der linke Politiker, sein rechter Kontrahent sei vom Teufel besessen. Lula postet Bilder von sich im Netz, die ihn zusammen mit dem Papst oder Geistlichen zeigen. Dazu verbreiten seine Anhänger in sozialen Netzwerken bereits jahrealte Videos und teilweise manipulierte Fotos, die Präsident Jair Bolsonaro in Freimaurerlogen zeigen. Vor allem evangelikale Kirchen bringen diese oft fälschlicherweise mit angeblichen satanischen Ritualen in Verbindung. Unter den Beiträgen lassen Bolsonaro-Wähler nun ihrer Enttäuschung freien Lauf: Manche fühlen sich betrogen vom Präsidenten und sagen, dieser habe sich nur verstellt und als Christ ausgegeben, um an Wählerstimmen zu kommen.

Luiz Inácio Lula da Silva, Präsidentschaftskandidat und ehemaliger Präsident Brasiliens (2003-2010) der linken Arbeiterpartei PT. Er zeigt sich hier in Belo Horizonte am 9. Oktober 2022.

Und so diskutiert Brasilien über Gott und die Glaubhaftigkeit der beiden Kandidaten, während eigentlich wichtige und vor allem ganz weltliche Probleme wie die Abholzung im Regenwald oder die Bekämpfung des Hungers in den Hintergrund treten.