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Abhängig von russischem Gas
Italien sucht verzweifelt nach neuen Energiequellen

In Monfalcone hatte man schon abgeschlossen: Nun soll das Kohlekraftwerk wieder richtig aktiviert werden. 
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«Ohne russisches Gas», titelte die Mailänder Zeitung «Corriere della Sera» vor ein paar Tagen, «werden wir einen kalten Herbst erleben.» Das war buchstäblich gemeint, aber auch metaphorisch fürs Grosse und Ganze.

Den Italienern wird gerade erst richtig bewusst, wie stark sie sich abhängig gemacht haben von Gaslieferungen aus dem Ausland, vor allem aus Russland. Und da sie mit dem Gas nicht nur heizen und kochen, sondern durch Verbrennung auch einen beträchtlichen Teil ihres Elektrizitätsbedarfs generieren, ist die Sorge nun, da der Krieg in der Ukraine so manche sicher gewähnten Gewissheiten erschüttert, vielleicht noch grösser als in anderen Ländern. Der Frühling ist bald da, auch der Sommer sollte kein Problem sein – der Herbst aber, der dräut wie eine dunkle Drohung.

Kurzsichtige Strategien

Premier Mario Draghi sagte neulich im Parlament, es sei nicht ausgeschlossen, dass der Gasverbrauch rationiert werden müsse, zumindest für die Industrie. Man bezahle nun halt für kurzsichtige Strategien, für den Ausverkauf der eigenen Autonomie, für einen mangelhaften Energiemix.

1980, als das Land erst rund 40 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr konsumierte, hatte es fast die Hälfte davon noch selber gefördert auf den 115 Off-Shore-Plattformen hauptsächlich im oberen Teil der Adria. Die Fördermengen wurden in den vergangenen zwanzig Jahren immer stärker gekappt, die Bohrinseln sind zusammen mit den fossilen Brennstoffen aus der Mode gefallen. Nun verbraucht Italien fast zweimal so viel Gas wie vor vier Jahrzehnten, produziert aber nur noch 3,5 Milliarden Kubikmeter selbst.

Der Rest kommt durch Pipelines aus Russland (etwa 40 Prozent), Algerien (28 Prozent), Aserbeidschan (9 Prozent), Libyen (4 Prozent), um nur die grossen Belieferer zu nennen. Katar schickt Flüssiggas auf Frachtern, das an drei italienischen Standorten in Gas verwandelt wird. In den Lagern von Livorno, Panigaglia und Cavarzere liegt dann auch der Grossteil der Reserven der Italiener.

Viel ist das nicht. Würden morgen alle Gaslieferungen aus dem Ausland gestoppt, reichte es für acht Wochen, sagt Roberto Cingolani, der Minister für die ökologische Transformation.

Früher hing man am libyschen Tropf: Muammar al-Ghadhafi und Silvio Berlusconi in einer Aufnahme aus dem Jahr 2010. 

Natürlich versuchen die Italiener nun, die bestehenden Kanäle noch besser zu nutzen und die Einfuhrmengen aus nicht russischen Quellen zu erhöhen, um sich möglichen Erpressungen aus Moskau zu entziehen. Sie tun das auf eigene Faust, damit es vielleicht etwas schneller geht. Seit Kriegsausbruch hat Aussenminister Luigi Di Maio bereits Algerien und Katar bereist, er nahm den Chef des italienischen Öl- und Energiekonzerns Eni mit.

Mit Katar sind die Verhandlungen schwierig, weil sich der Golfstaat langfristig an Kunden in Fernost gebunden hat und nicht einfach so beliebig viel mehr Gas fördern kann. Mit Algerien lief es besser: Über die Trans-Mediterranean Pipeline kommt neuerdings mehr Gas nach Italien als aus Russland. Auch von Aserbeidschan erwartet man mehr, die neue Trans-Adriatic Pipeline ist erst halbwegs ausgelastet.

Und dann ist da noch Libyen, die ehemalige Kolonie. Früher bezogen die Italiener viel Gas von dort, es liegt ja so nah. Doch als man merkte, dass Muammar al-Ghadhafi die Abhängigkeit politisch nutzte, suchte man sich neue Lieferanten. Viel gelernt hat man daraus aber nicht.

Alternativen sind rar

Studien zeigen nun, dass Italien einen Totalausfall des russischen Gases nur etwa zur Hälfte mit mehr eigenem sowie algerischem, aserbeidschanischem und libyschem Gas kompensieren könnte. Es fehlen etwa 15 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, das ist eine ganze Menge.

Die Alternativen? Atomkraftwerke besitzt Italien keine. Und erneuerbare Energiequellen lassen sich nicht einfach so erschliessen, das braucht viel Zeit, und einen schönen Teil davon frisst die italienische Bürokratie. Kurzfristig gibt es deshalb nur einen Ausweg, den Draghi bei seinem Auftritt im Parlament mit einem resignierten Unterton benannte: Die Regierung habe sechs Kohlekraftwerke im Land angewiesen, sich bereit zu machen, um ihre Produktion wieder ganz hochzufahren, sagte er.

Sorge vor einem Rückfall in dramatische Zeiten

Italien hatte sich verpflichtet, bis 2025 alle seine Kohlekraftwerke aus dem Verkehr zu ziehen – als Beitrag zu einer Reduktion des CO₂-Ausstosses. Die Werke stehen für etwa 8 Prozent der gesamten italienischen Luftbelastung. Jenes in La Spezia wurde schon geschlossen, die anderen haben die Produktion gedrosselt.

In Monfalcone im äussersten Nordosten Italiens, wo die Schliessung kurz bevorstand, beging man den Beschluss mit viel Erleichterung: Der Name des Ortes steht symbolisch dafür, wie ungesund unsaubere Energie für Mensch und Umwelt ist. Nun könnte es sein, dass Monfalcone wieder zurückfällt in dramatische Zeiten, wegen Wladimir Putin.

Plötzlich sind auch die «Trivelle» wieder ein Thema, so nennt man in Italien die umstrittenen Erdbohrer. Bisher gab es immer starken Widerstand dagegen, nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern auch aus ästhetischen. Und jetzt? Cingolani gab bekannt, dass die Regierung die Prozeduren für die Zulassung von neuen Bohranlagen vereinfacht habe. Aus dem Mund des Ministers, der Italiens Energieproduktion umweltfreundlicher machen soll, ist das schon eine bemerkenswerte Aussage.