Gute FrageIst der Mensch ein Tier?
In dieser Rubrik beantworten Redaktorinnen und Redaktoren häufig gegoogelte Fragen.

Ja, er ist ein Tier, ganz klar: ein Mitglied der Gattung Homo, die zur Familie der Menschenaffen gehört und zur Ordnung der höheren Säugetiere. Derart systematisch ins Tierreich eingeordnet hat ihn bereits Carl von Linné im 18. Jahrhundert, evolutionsgeschichtlich dann Charles Darwin in der «Entstehung der Arten», 1859.
Das ist eine noch jüngere Erkenntnis. Sie verdankt sich dem Fortschritt der Wissenschaften, aber auch der Abdankung der Bibel als massgeblicher Wissensquelle. Nach ihr hat Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, und zwar nach den Tieren, und ihn über sie gesetzt ( «und herrschet über sie»).
Diese gottgewollte Herrschaft fand ihren Niederschlag darin, dass Tiere juristisch lange als Sachen galten (in der Schweiz bis 1993) und faktisch heute noch als Sachen behandelt werden, nämlich allein unter ökonomischen Gesichtspunkten (Massentierhaltung, geschredderte Küken etc.) .
Kein Tier behandelt Artgenossen und andere Tiere so, wie der Mensch seinesgleichen und seine Mit-Tiere behandelt. Ulrich Horstmann hat ihn deshalb in einer seinerzeit viel gelesenen Abhandlung «Das Untier» genannt. Und immer wieder haben Menschen andere Menschen zu Nicht-Menschen erklärt (Sklaven, Ungläubige, Juden), um sie dann wie Ungeziefer zu behandeln.
Ist die Vernunft das Unterscheidungsmerkmal?
Dabei hat der Mensch Potenzial genug, sich vom Tier abzuheben. Und er nutzt es ja auch: Er hat die Sprache, die Fähigkeit zur Abstraktion, er kann lernen und sein Wissen weitergeben, er kann Werkzeuge erfinden und neue Probleme lösen, er hat Fantasie und Erinnerungsvermögen, er begreift, was Vergangenheit und Zukunft sind, er kann über sich, seine Sterblichkeit und den Sinn seines Lebens reflektieren. Er kann Gemeinschaften bilden, Häuser, Städte, Zivilisationen bauen und Kunstwerke schaffen. Er hat die Gestalt der Erde radikal verändert.
All das können Tiere nicht, weil sie kein derart lern- und ausbaufähiges Gehirn haben. Deshalb haben die Aufklärer die Vernunft zum Unterscheidungsmerkmal erklärt. Dazu äussert sich schon Goethe skeptisch, wenn er seinen Mephisto sagen lässt: «Ein wenig besser würd’ er leben,/ Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;/ Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,/ Nur tierischer als jedes Tier zu sein.»
Kommen ihm da die Triebe in die Quere, wie Schopenhauer und Freud meinten? Oder ist es die (instrumentelle) Vernunft selbst, die ihn über die Mittel die Zwecke vergessen, die Natur und die Mitmenschen ausbeuten lässt (Horkheimer, Adorno)? Das ist eine andere Frage.
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