Reformprozess startetErneuerung der katholischen Kirche – nur eine «Alibiübung»?
Papst Franziskus will die Kirche modernisieren. Hierzulande ist die Skepsis gross; befürchtet wird, dass die Anstrengungen versanden und noch mehr Katholiken die Kirche verlassen.
Papst Franziskus will die Kirche erneuern. Alle 4000 Bistümer der Welt sollen mit ihm den synodalen Prozess hin zu einer partizipativen, geschwisterlichen Kirche durchlaufen. Zunächst lässt er die Gläubigen weltweit zu ihren Anliegen befragen. 2023 soll der Prozess in eine Synode der Bischöfe in Rom münden.
In der Schweiz fällt der Startschuss am 17. Oktober. An diesem Tag lädt der Churer Bischof Joseph Bonnemain alle Firmlinge nach Einsiedeln ein. Für ihn ist der synodale Prozess eine «wunderbare Chance, die Jugendlichen ins Boot zu holen» und einen Jugendrat zu gründen, wie er auf Kath.ch schrieb. Auch für den Basler Bischof Felix Gmür kommt der Prozess zum richtigen Zeitpunkt. Denn viele Gläubige und Gemeinschaften suchten nach Wegen der Erneuerung.
Um möglichst viele Menschen zur Teilnahme zu motivieren, hat Gmür für die Befragung in seinem Bistum das Forschungsinstitut GFS Bern engagiert. Gmürs Sprecher Hansruedi Huber sagt auf Anfrage, die Weltsynode sei einzigartig.
Harte Kritik aus der Schweiz
Der Schweizer Theologe Felix Senn indes hält den synodalen Prozess für eine «grosse Alibiübung». Seit 60 Jahren verordne sich die Kirche immer wieder Erneuerungsprozesse. Dennoch bleibe strukturell alles beim Alten. «Wir haben ein ganzes Theologenleben für überfällige Reformen gekämpft, aber erfahren müssen, dass nichts passiert», sagt der seit kurzem pensionierte Theologe, der über 20 Jahre lang in der theologischen Grundbildung tätig war. Heute noch ist er im Vorstand von Tagsatzung.ch, einer Reformbewegung, die sich seit langem für eine geschwisterliche Kirche aus gleichberechtigten Männern und Frauen einsetzt – ohne Erfolg, wie alle anderen Anläufe auch.
Die Tagsatzung ist eine Folgeinitiative der Synode 72, des bislang bedeutendsten Versuchs, die Kirche Schweiz zu erneuern. Drei Jahre lang, von 1972 bis 1975, befasste sie sich mit den drängenden Reformanliegen und versuchte, die neuen Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) in den Schweizer Bistümern umzusetzen, etwa die Reform der Liturgie oder die Mitarbeit von nicht geweihten Theologen. Die handfesten Postulate landeten in der Schublade, weil Rom gar nicht auf sie einging. Postulate zur Demokratisierung der Kirche, zur Priesterweihe von verheirateten Männern und auch von Frauen blieben ohne Folgen.
«Die Synode 72 ist offenbar ein Stachel im Fleisch der hierarchischen Kirche.»
Warum also einen neuen synodalen Prozess lancieren, wo doch die Schweizer Kirche einfach auf die Ergebnisse der Synode 72 zurückgreifen könnte, die immer noch aktuell sind? Mit einer Tagung zum 50-Jahr-Jubiläum im nächsten Juni will die Tagsatzung an die Synode 72 erinnern. Eine «gefährliche Erinnerung», sagt Senn, «weil sie offenbar ein Stachel im Fleisch der hierarchischen Kirche ist und weil die Schweizer Bischöfe das Jubiläum offenbar verstreichen lassen wollen».
Rom sagt: keine Frauenweihe, keine verheirateten Priester, keine Segnung homosexueller Paare und kein ökumenisches Abendmahl.
Auf entsprechende Nachfrage der Tagsatzung haben die Schweizer Bischöfe jedenfalls nur unverbindlich reagiert. Dabei war die Synode 72 eine bischöfliche Initiative. Seit 1978 Johannes Paul II. Papst geworden sei, so Senn, liege die Macht wieder allein bei den Bischöfen und der römischen Kurie. Seither habe die Kirche nur noch von oben dekretiert und damit sich kaum mehr von unten bewegen lassen. Auch manche andere Basisbewegungen sind am mangelnden Reformwillen der Bischöfe aufgelaufen: in der Schweiz etwa die Allianz «Es reicht!» oder die Pfarreiinitiative.
Stets brachten die Reforminitiativen die gleichen Fragen rund um das Zölibat, die Frauenweihe und die Sexualmoral aufs Tapet. Die bis heute unerledigten Fragen sorgen für anhaltenden Reformstau. Ausgelöst vom Synodalen Weg der deutschen Kirche in den letzten zwei Jahren hat Rom nun auch unter Papst Franziskus alle Reformanliegen abschlägig beantwortet: keine Frauenweihe, keine verheirateten Priester, keine Segnung homosexueller Paare und kein ökumenisches Abendmahl.
Droht eine Absetzbewegung?
«Welchen Sinn macht dann der synodale Prozess», fragt Senn, «wenn die wichtigen Fragen in Rom bereits entschieden sind?» Er glaubt, dass die Befragung der Gläubigen in der Schublade landen und wie alle bisherigen Initiativen versanden wird. Ja er befürchtet sogar, dass der synodale Prozess in einer grossen Absetzbewegung der Basis enden könnte. Angesichts der immer wieder enttäuschten Hoffnungen hätten sich bereits viele Gläubige von der Kirche abgewandt.
Die Gynäkologin und Frauenrechtlerin Franziska Zen Ruffinen meint demgegenüber, Papst und Bischöfe könnten es sich gar nicht mehr leisten, keine Reformen zu beschliessen. Sie riskierten einen grossen Vertrauensbruch, sollten sie bloss Hoffnungen schüren, um dann abermals nichts zu machen. Zen Ruffinen engagiert sich in der neu gegründeten «Allianz gleichwürdig katholisch», seit Jahren auch im Frauenrat der Schweizer Bischofskonferenz.
Für die Bischöfe sei der synodale Prozess die letzte Chance, sagt sie. Die jungen Frauen könnten sie nicht erreichen, weil diese in der Kirche keine Perspektive sähen. Die älteren, kirchlich sozialisierten Frauen indessen würden sich am Prozess beteiligen und vielleicht durchaus etwas erreichen – «im Sinne eines Überraschungseffekts, ähnlich wie damals in der DDR, als die Basis das alte System abschüttelte».
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