Vatikan gegen Gesetz für HomosexuelleDer römische Segen hängt schief
In einer diplomatischen Verbalnote protestiert der Vatikan gegen ein neues italienisches Gesetz zum Schutz von Homosexuellen – eine beispiellose Intervention.
Es hätte feinere Arten gegeben, vor allem leisere. Doch der Vatikan wählte eine laute Art, um der italienischen Regierung und dem italienischen Parlament in ihre Geschäfte reinzureden. In einer diplomatischen Verbalnote protestiert die Weltzentrale der katholischen Kirche gegen ein neues Gesetz für den besseren Schutz von Homosexuellen und Transmenschen in Italien gegen Hass und Diskriminierung. «Eine Grätsche», nennt es «La Stampa» mit einem Bild aus dem Fussball. «La Repubblica» bedient sich des militärischen Repertoires und schreibt von «schwerer Artillerie».
Jedenfalls hängt der Segen über Rom dies- und jenseits des Tibers, der Trennlinie zwischen dem weltlichen und dem kirchlichen Teil der Stadt, so schief wie schon lange nicht mehr – und das ist aus vielen Gründen bemerkenswert. Wusste der Papst von der Note?
Im Zentrum der Polemik steht die «Legge Zan», «Gesetz Zan» also, benannt nach Alessandro Zan, einem Abgeordneten des sozialdemokratischen Partito Democratico und LGBT-Aktivisten, 47, aus Padua, der den Text verantwortet. Vier knappe Seiten ist er nur lang. Mit dieser Vorlage will die Linke Italiens Rechtsordnung an westeuropäische Standards angleichen, den Kampf gegen Homo- und Transphobie stärken, die Bevölkerung für Genderfragen sensibilisieren und den Hass gegen Homosexuelle ähnlich bestrafen wie Rassismus. Die Abgeordnetenkammer hat den Text bereits im vergangenen November gebilligt: 265 stimmten dafür, 193 dagegen.
Schon damals erreichte die Debatte schrille Töne. Die Rechte im Parlament – Lega und Fratelli d’Italia vorneweg – unterstellte der Linken, sie ideologisiere die Frage und zwinge dem Land die Agenda von LGBT auf. Von «Gesinnungsdiktatur» und «Staatsreligion» war die Rede. Italien habe in der Pandemie andere Sorgen. Sekundiert wurden die Rechtspopulisten von traditionalistischen Kreisen der Kirche und von Verfechtern der konventionellen Familie. Auch die italienische Bischofskonferenz äusserte sich mehrmals kritisch.
Streit auf allerhöchster Ebene
Nun liegt die Norm schon seit Monaten im Senat für die definitive Verabschiedung – blockiert. Mit einer Serie von Verzögerungsmanövern sorgte die Lega dafür, dass sie noch nicht zur Abstimmung gelangt ist.
In diese Phase also platzt die Intervention des Vatikans. Am 17. Juni überreichte Monsignor Paul Richard Gallagher, Sekretär für die Beziehungen mit anderen Staaten, wie sie im Vatikan den Aussenminister nennen, eine diplomatische Note in der italienischen Botschaft am Heiligen Stuhl. Offizieller geht es nicht. Und, vor allem: Das hat es noch nie gegeben. Früher agierte der Vatikan jeweils über die italienische Bischofskonferenz, um sich Gehör zu verschaffen, etwa beim Streit über Scheidung und Abtreibung. Nun hob man die Angelegenheit auf die allerhöchste, zwischenstaatliche Ebene.
Die Rechte jubelt, und die Linke versteht die Welt nicht mehr
In dem Schreiben mahnt der Vatikan ausdrücklich Änderungen an der «Legge Zan» an. In der aktuellen Form schränke das Gesetz die Gewissensfreiheit ein und verletze das Konkordat zwischen den zwei Staaten – unterschrieben 1929, revidiert 1984. Auch eine solche offizielle Berufung auf die Lateranverträge hatte es bisher noch nie gegeben.
Konkret geht es dem Vatikan darum, dass sich die katholische Kirche und ihre Schulen in Italien nichts vorschreiben lassen wollen – etwa, dass sie am geplanten «Nationalen Tag gegen Homo- und Transphobie» Veranstaltungen für ein tieferes Verständnis der Diskriminierungen durchführen. Doch eine solche Vorschrift sieht das Gesetz gar nicht vor. Artikel 4 räumt Gewissensfreiheit ausdrücklich ein. Das scheint dem Vatikan als Garantie aber nicht auszureichen.
Die Rechte jubelt. Matteo Salvini dankte dem Vatikan für dessen «gesunden Menschenverstand» gegen das, was er ein «Maulkorbgesetz» nennt. Die Linke wiederum versteht die Welt nicht mehr. Ist das noch der Papst, der einmal sagte: «Wenn ein homosexueller Mensch den Herrn sucht – wer bin ich, dass ich über ihn richte?» Ist es möglich, dass Franziskus nichts wusste vom diplomatischen Einwurf? Und wenn ja: Wäre das nicht vielleicht noch schlimmer?
«Hier mischt sich ein fremder Staat in nie da gewesener Weise in die Angelegenheit eines souveränen Parlaments ein.»
Der berühmte Mailänder Rapper Fedez, Wortführer für die «Legge Zan» unter den Kulturschaffenden in Italien, erinnerte in einem Post auf Instagram daran, dass der Vatikan dem italienischen Staat ungefähr 5 Milliarden Euro an Immobiliensteuern schulde. «Freunde im Vatikan, steht das etwa auch im Konkordat?», schrieb er polemisch. Ein laizistischer Staat wie Italien lasse sich nichts vorschreiben vom Vatikan. Fedez hat allein auf Instagram 12,6 Millionen Follower. Auch Alessandro Zan meldete sich zu Wort. «Ich kann es noch gar nicht glauben», sagte er, «hier mischt sich ein fremder Staat in nie da gewesener Weise in die Angelegenheit eines souveränen Parlaments ein.»
Draghi sagt, Italien sei ein laizistischer Staat
Und so harrte Italien auf die Stellungnahme von Premier Mario Draghi, der den ganzen Mittwoch im Parlament verbrachte, zuerst bei den Abgeordneten, dann bei den Senatoren. Gekommen war er, um vom anstehenden Europagipfel zu erzählen – und von seinem Wiederaufbauplan über mehr als 200 Milliarden Euro, der den beschwingten Segen aus Brüssel erhalten hat. Kurz: Draghi kam auch für Applaus. Stattdessen wollte man vor allem hören, was er von der «Grätsche» aus dem Vatikan hält. Nun, Draghi sagte, Italien sei ein laizistischer Staat. «Das Parlament ist frei.»
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