Emotionale ForscherIst das Rätsel gelöst, welche Brücke auf der «Mona Lisa» zu sehen ist?
Eine eigene Gruppe unter den Interpreten des zu Recht berühmtesten Renaissancegemäldes bilden die «Brückenfinder». Sie sind derzeit ganz aus dem Häuschen.
![Rechts markiert die Brücke über einen reissenden Strom: Während der Fluss auf der linken Seite so gut wie ausgetrocknet ist, gedeiht rechts im Bild das Leben.](https://cdn.unitycms.io/images/360mN234qdEBIVlrtWBW5N.jpg?op=ocroped&val=1600,1067,1000,1000,0,0&sum=lv6c7QLq0NY)
Ein Bild zu interpretieren, ist eine Liebeserklärung – und wie beim Verliebtsein, so siegen auch hier manchmal im ersten Moment die Projektionen über den Realitätssinn. So gesehen wird Leonardo da Vincis «Mona Lisa», gerade weil sie so fantastisch ist, immer neue Erklärungen hervorbringen. Eine eigene Gruppe unter den Interpreten des zu Recht berühmtesten Renaissancegemäldes bilden die Brückenfinder. Sie meinen, die Brücke, die im rechten Hintergrund des Kunstwerks zu sehen ist, identifiziert zu haben in diesem oder jenem Flecken Mittelitaliens.
Das löst jedes Mal Begeisterung aus – jedenfalls in dem Dorf oder Städtchen, dem die jeweilige Brücke gehört. Und weil die Mona Lisa auch nach mehr als 500 Jahren tatsächlich noch nicht all ihre Geheimnisse preisgegeben hat, zieht so eine Nachricht schnell Kreise.
Die Bürgermeisterin plant schon einen Radwanderweg
Diesmal hat das 3500 Einwohner zählende Laterina in der Provinz Arezzo scheinbar gewonnen. Die dortige etruskisch-römische Romito-Brücke, von der nur ein kleiner Teil erhalten ist, soll Leonardo Modell gestanden haben, meint der italienische Historiker Silvano Vinceti, der sich auf die ursprüngliche Zahl der Brückenbögen beruft und darauf, dass Leonardo mal in der Gegend gewesen sein soll. Der Ponte Bobbio von Piacenza etwa wäre dann nicht mehr das Vorbild. Die Bürgermeisterin von Laterina kündigt begeistert schon einen neuen Radwanderweg zur Ruine an, berichtet der Guardian. Was alle anderen Orte, die auch Leonardos Brücke für sich reklamieren, nicht daran hindern wird, weiter mit Mona-Lisa-Plakaten für sich zu werben.
Bloss ist Vinceti schon mehrmals mit kaum haltbaren Mona-Lisa-Theorien aufgefallen, darunter die Annahme, auch ein Mann solle Modell gesessen haben. Und Leonardo, der Brücken nicht nur malte, sondern auch konstruierte, wollte sicherlich seine Gioconda, wie die Italiener die Mona Lisa nennen, weder in Laterina noch in Piacenza oder anderswo in Italien verorten. Denn die Landschaft, die er malte, ist pure Fantasie – was sich schon daran zeigt, dass die Horizonte links und rechts der Figur irrealerweise unterschiedliche Höhen haben.
Die linke Landschaft ist ausgetrocknet, der Fluss hier führt bis auf wenige Pfützen kein Wasser. Rechts im Bild dagegen fliesst ein reissender Strom unter der Brücke durch. Mona Lisas enigmatisches Lächeln entsteht, so der Kunsthistoriker Alexander Perrig, weil sie nur mit ihrem linken Mundwinkel lächelt, also in Richtung der fruchtbaren und nicht der ausgetrockneten Flusslandschaft. Das Gemälde handelt, unter anderem, vom Werden und Vergehen der Natur, der die Frau innig verbunden ist – auch durch die Brücke, die ihr Schultertuch optisch über den Bildrahmen hinaus zu verlängern scheint.
Leonardo da Vinci behielt Mona Lisa bis zu seinem Lebensende bei sich und zog mit ihr mehrmals um, nach Rom und nach Frankreich. Lokalpatrioten waren die beiden nicht. Ihre Heimat war und ist die Kunst.
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