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«Love & Anarchy»
Ist das die beste Netflix-Serie des Jahres?

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Worum gehts?

Sofie Rydman, die erfolgreiche und, ihrem Townhouse im teuren Stockholm nach zu urteilen, sehr wohlhabende Hauptfigur der schwedischen Netflix-Serie «Love & Anarchy», hat folgende Morgenroutine: Kaffee trinken. Den Kindern Kommandos zurufen. Im Badezimmer zu einem Porno auf dem Handy masturbieren.

Hach, die sexuell befreiten Schweden, mag man da denken, zeigen endlich, dass auch Frauen Schmuddelfilme gucken und sich selbst befriedigen. Aber dann wird Folge um Folge klarer, dass diese routinierte Speed-Entspannung eher Symptom als Emanzipation ist.

Oder, um nicht gleich zu pathologisieren: Es ist Sofies einzige, anarchische kleine Flucht aus dem urbanen Erfolgsleben mit ihrem Werbefilm-Regisseursgatten, das bei näherem Hinsehen trotz aller Verfeinerung des Stils extrem angepasst ist – hippe Wintermütze und Designmöbel hin oder her.

In «Liebe und Anarchie» entwickelt sich zwischen Max (Björn Mosten) und Sofie (Ida Engvoll) ein ungewöhnlicher Flirt am Arbeitsplatz.

Wer steckt dahinter?

Getragen wird die Serie von der grossartigen Ida Engvoll in der Hauptrolle. Drehbuch und Regie kommen von Lisa Langseth – 2017 sorgte sie mit «Euphoria» (mit Alicia Vikander und Eva Green) an den Filmfestivals bereits für Aufsehen. Die schwedische Nachwuchshoffnung erzählt in dieser charmanten, lustigen Serie eigentlich nichts weiter als die Geschichte einer Midlife-Crisis. Weil man die aus Frauenperspektive aber noch nicht so häufig gehört hat – und weil sie dafür so zeitgenössische Metaphern findet, ist «Love & Anarchy» eine Entdeckung in diesem Serienherbst.

Im Vorzimmer arbeitet der schöne junge IT-Techniker Max.

Dass sie mit ihrem magazintauglichen Leben nicht mehr ganz glücklich ist, wird Sofie nämlich klar, nachdem sie einen Job als Beraterin in einem kleinen Literaturverlag antritt. Lund & Lagerstedt ist eine Art Intellektuellenreservat, das sich der Digitalisierung bislang mehr oder weniger bewusst entzogen hat.

Sophie muss einen kriselnden Verlag auf Digitalkurs bringen.

Jetzt steht der Verlag kurz vor dem Bankrott, und Sofie stellt dem schwadronierenden Lektor ketzerische Fragen wie: «Auf was für Daten basiert Ihre Entscheidung, dieses Manuskript anzunehmen?» Dem Verlag droht ein grundlegender Umbruch, Sofie soll ihn zu dem machen, was sie selbst ist: stromlinienförmig und marktkonform.

Warum ist das so gut?

Es kommt aber alles anders. Denn bei Lund & Lagerstedt arbeitet im Vorzimmer der schöne junge IT-Techniker Max.

Auf Schwedisch heisst Liebe «Kärlek», wobei «lek» im weiteren Sinne «Spiel» bedeutet. Als solches beginnt auch der Flirt zwischen Sofie und dem zwölf Jahre jüngeren Mann: Sie stellen einander Mutproben, die ihren Alltag im Büro auf wahnwitzige Art unterlaufen. Sie ziehen sie mit so heiligem Ernst durch, dass man schnell versteht, dass es für die beiden mehr zu gewinnen gibt, als es scheint – nämlich die Liebe.

Die Familienidylle kommt arg ins Wanken.

Sofie muss einen Tag lang rückwärts laufen, springt nackt im Schwimmbad vom Dreimeterturm. Max bäckt Gras in die Desserts vom Verlagslunch auf der Buchmesse. Einmal muss er sich den ganzen Tag so benehmen, als ob er der Verlagschef wäre. Wie Max (Björn Mosten) mit gespielter Autorität Managerphrasen in die verständnislosen Gesichter der Kollegen spricht, ist ein enormer Spass.

Nebenbei geht es in Liebe und Anarchie auch noch um die Ökonomisierung der Kunst, um das linke Erbe der Schweden, aufgegebene Träume, um #MeToo und Ayahuasca. Die Moral der Serie aber ist wohl, dass es ohne ein bisschen Anarchie keine Liebe und ohne beide kein Glück geben kann.

Love & Anarchy, acht Folgen, auf Netflix.