Streit um SeegrenzeIsrael und der Libanon vor historischer Einigung
In einem langjährigen Konflikt stehen die Länder vor einem Kompromiss. Das hängt auch mit dem Krieg in der Ukraine zusammen. Noch gibt es Widerstände.
Pulverdampf hat schon in der Luft gelegen, Drohungen kamen von allen Seiten. Doch nun steuern Israel und der Libanon unter US-Vermittlung offenbar auf eine Einigung zu. Sie streiten seit vielen Jahren um die Seegrenze im Mittelmeer. Der Kompromiss verspricht grosse Vorteile für beide Staaten – von der regionalen Sicherheit bis hin zur lukrativen Ausbeutung von Gasfeldern. Ein Deal zwischen den beiden verfeindeten Ländern, die offiziell seit 1948 im Kriegszustand leben, darf als historisch betrachtet werden. Doch noch gibt es ein paar Widerstände zu überwinden.
Umstritten zwischen Israel und dem Libanon ist die Frage, in welchem Winkel die Grenzlinie von der Küste abgeht. 2011 hatten beide Länder bei den Vereinten Nationen ihre Vorstellungen hinterlegt, seitdem wurde mit Unterbrechungen verhandelt. Israel verortet die Seegrenze weiter nördlich, Libanon tiefer im Süden.
Betrachtet man das auf der Karte, wird der Streit um ein Dreieck geführt, das gern mit einem Pizza-Stück verglichen wird. Das Brisante: Dieses Dreieck berührt zwei Gasfelder. Eines davon namens Karisch wurde von Israel bereits weitgehend erschlossen. Das zweite namens Kana möchte der Libanon möglichst bald erkunden und gewinnbringend ausbeuten.
Kompromissfindung mit US-Vermittler
Dringlich ist eine Lösung des alten Streits gleich aus mehreren Gründen geworden. Global betrachtet wird seit Russlands Überfall auf die Ukraine überall nach neuen Gaslieferstätten gefahndet. Auch aus dem Mittelmeer könnte mittelfristig Ersatz beschafft werden für ausbleibende russische Lieferungen in den Westen. Deshalb hat Washington nun Druck gemacht auf die Regierungen der beiden Länder und den Sondergesandten Amos Hochstein zur Vermittlung geschickt.
Vor allem aber hatte sich der Konflikt zwischen Israel und dem Libanon über den Sommer enorm aufgeheizt. Die britisch-griechische Energiefirma Energean, die von Israel die Lizenz für das Karisch-Feld erworben hatte, brachte im Juni ihre Förderanlage auf hoher See 80 Kilometer westlich von Haifa in Position. Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen Schiiten-Miliz Hizbollah, nahm das zum Anlass für offene Kriegsdrohungen.
Ohne Einigung auf die genaue Grenzziehung werde der Libanon den Israelis keine Förderung in Karisch erlauben, wetterte er. Darauf schickte die Hizbollah im Juli vier Drohnen in Richtung Karisch, sie wurden von Israels Armee geschossen.
Nun aber scheint Washingtons Intervention die Stimmung gedreht zu haben. In den vergangenen Tagen wurde beiden Seiten offiziell ein Kompromissvorschlag zur Grenzziehung ausgehändigt. Karisch wird darin komplett Israel zugeschlagen, dem Libanon wird die Ausbeutung von Kana zugesichert. Für einen kleinen Teil des libanesischen Feldes, der in israelische Gewässer hineinreicht, soll Israel von der französischen Firma Total entschädigt werden, die die Lizenz für Kana hält.
Gespaltene Meinungen in Israel
Positive Signale auf diesen Vorschlag kommen von beiden Seiten. Selbst Hizbollah-Chef Nasrallah hofft nun auf ein «gutes Ende». Er stellt den Kompromiss als Erfolg der von ihm aufgebauten Drohkulisse dar. Dies werde «dem Libanon helfen, mit der Wirtschaftskrise fertig zu werden». Das scheint angesichts der Verarmung des Landes und der prekären Energieversorgung die Hauptmotivation zur Einigung. Bis tatsächlich Gas im Kana-Feld gefördert werden kann, wird es jedoch noch einige Jahre dauern.
Lautstark begrüsst wurde der US-Vorschlag auch von Israels Premierminister Jair Lapid. Er sieht in einem Abkommen die Möglichkeit, die Abhängigkeit des Libanon vom Iran zu verringern, sobald das Land dank Energie-Einnahmen in eine bessere wirtschaftliche Lage käme.
Allerdings will sich dieser Sichtweise nicht jeder anschliessen in Israel, zumal dort gerade Wahlkampf herrscht. Oppositionsführer Benjamin Netanyahu schiesst bereits gegen den nun vorgelegten Kompromiss. Er wirft Lapid eine «Kapitulation» vor der Hizbollah vor. Überdies sei der Abschluss eines Abkommens «illegal», weil Lapid als Übergangspremier bis zur Wahl am 1. November gar keine Befugnis habe, eine so weitreichende Entscheidung zu Israels territorialem Status zu treffen. Für alle Fälle kündigte Netanyahu schon einmal an, sich bei einer Rückkehr an die Macht nicht an ein bis dahin geschlossenes Abkommen gebunden zu fühlen.
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