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Gescheiterte Regierung in Israel
Der Anti-Netanyahu wird Premier – vorübergehend

Zieht nun nach Jerusalem um: Der bisherige israelische Aussenminister Jair Lapid.
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Staatsmann hat er gelernt, wie immer im Schnelldurchgang: Diplomatisch in allen Lebenslagen, charmant und zugleich entschlossen, so hat sich Jair Lapid im vergangenen Jahr als Aussenminister den Israelis und der Welt gezeigt. Die meisten sind sich einig: Er hat seinen Job sehr gut gemacht. Doch für ihn war das von Beginn an nur eine Übung fürs grössere Ziel. Er will ganz nach oben in der israelischen Politik, ziemlich lange schon. Nun soll er tatsächlich Premierminister werden, allerdings mit einem unschönen Präfix: Der 58-Jährige ist lediglich als «Übergangspremier» vorgesehen.

Immerhin ist er damit Profiteur einer insgesamt desolaten Lage. Die massgeblich von ihm im vorigen Sommer zusammengezimmerte Koalition aus acht sehr unterschiedlichen Parteien ist kollabiert, der bisherige Premierminister Naftali Bennett ist gescheitert, und bis zur geplanten Neuwahl im Herbst soll Lapid die Regierungsgeschäfte führen. So ist das im Koalitionsabkommen vorgesehen, und logisch ist es sowieso, weil Lapid die weitaus stärkste Fraktion im Bündnis anführt. Vor einem Jahr jedoch hatte er, um das grosse Ganze nicht zu gefährden, noch Bennett den Vortritt gelassen. Eine grosszügige, fast selbstlose Geste war das, die sich nun noch auszahlen könnte.

Gestalten zum Wohle des Wahlvolks

Lapid nämlich inszeniert sich gern als Anti-Bibi, als Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Benjamin Netanyahu. Nicht «ich» sagt er, sondern immer nur «wir». Nicht von der Macht spricht er, sondern vom Machen, vom Gestalten zum Wohle des Wahlvolks. Während die anderen Parteiführer nun eher zerzaust aus der gescheiterten Koalition herauskommen, hat sich Lapid eindeutig als Anführer des Mitte-links-Lagers etabliert. Die nächste Wahl also wird zum Zweikampf werden, mit deutlichen Vorteilen allerdings für den 72-jährigen Netanyahu. Denn die Mehrheit in Israel steht nicht in der Mitte und schon gar nicht links.

Hat gute Chancen gegen Jair Lapid: Der ehemalige Premierminister Benjamin Netanyahu scherzt mit Journalisten. 

Doch Lapid hat einen langen Atem. Das hat er bewiesen, seitdem er vor zehn Jahren aus ganz anderen Sphären in die Politik eingestiegen ist. Jesch Atid lautet der programmatische Name seiner Partei, auf Deutsch: Es gibt eine Zukunft. Schon bei der ersten Wahl 2013 legte er einen Blitzstart hin. Auf Anhieb kam die Partei auf den zweiten Platz und er sogleich als Finanzminister ins Kabinett. Die damalige Liaison mit Netanyahu endet allerdings schnell im Streit. Seither ist Lapid damit beschäftigt, sich am Widersacher abzuarbeiten – und wieder so populär zu werden, wie er es vor dem Eintritt in die Politik schon einmal war.

In den Achtzigerjahren hat er schon mehrfach Wahlen gewonnen: die zum attraktivsten Mann Israels.

Bekannt geworden ist er nämlich als Talkshow-Gastgeber, als Kolumnist und Moderator der beliebtesten israelischen Nachrichtensendung am Freitagabend. Er kann damit kokettieren, dass er sich davor auch schon als Boxer und als Schauspieler versucht hat. Dass er – mit Erfolg – Romane, Kinderbücher und Popsongs geschrieben hat. Und dass er auch in den Achtzigerjahren schon mehrfach Wahlen gewonnen hat: die zum attraktivsten Mann Israels.

Sein Siegerlächeln ist also gut grundiert, zudem stammt er aus prominentem Elternhaus. Der Vater Josef «Tommy» Lapid, ein Holocaust-Überlebender aus Ungarn, mischte ebenfalls nach einer Journalistenkarriere die israelische Politik auf und brachte es bis zum Vize-Premier. Die Mutter Shulamit Lapid ist eine bekannte Krimiautorin.

Keine Militärkarriere

Mit seiner Frau Lihi, einer ebenfalls bekannten Autorin, und drei Kindern lebt Jair Lapid in Tel Aviv. Er ist ein dezidierter Vertreter des liberalen und weltoffenen Israels – und damit manch anderen im Land verdächtig. Zudem fehlt ihm die Militärkarriere, die in der von Sicherheitsfragen dominierten Politik immer noch ein Pluspunkt ist. Doch als Premier kann er nun umziehen nach Jerusalem, in die Residenz in der berühmten Balfour Street. Dort muss er sich erst einmal bewähren bis zur nächsten Wahl.