Kulturskandal wegen NahostkonfliktEklat rund um offenen Brief
Über 8000 internationale Kunstschaffende, auch aus der Schweiz, kritisieren in einem offenen Brief auf «Artforum» Israel, ohne das Attentat der Hamas zu erwähnen. Andere Intellektuelle macht das fassungslos. Inzwischen wurde der «Artforum»-Chefredaktor entlassen.
Der Chefredaktor musste gehen, aber der Schaden war nicht mehr zu reparieren. Am Donnerstag wurde David Velasco entlassen. Er hatte fünf Jahre lang die angesehene Kunstzeitschrift «Artforum» geleitet. Und kannte als Einziger auf der Redaktion den Inhalt eines offenen Briefs, der über das Magazin veröffentlicht wurde. Dieser kritisiert in einem ausfälligen Vokabular den Umgang Israels mit den Palästinensern. Erwähnt aber mit keinem Wort das Massaker, das die Hamas vor kurzem an Tausenden von israelischen Zivilisten verübte, ein barbarisches Abschlachten mit der grössten Anzahl jüdischer Opfer seit dem Holocaust.
Heftige Gegenreaktionen
Die Kritik auf den Brief fiel dermassen heftig aus, dass die Redaktion jetzt in einer Fussnote auf die Hamas hinweist. Und dass der Chef auf Geheiss der Verlagsleitung gehen musste. Er bedaure nichts, sagte Velasco im Gespräch mit der «New York Times». Vielmehr zeigte er sich enttäuscht darüber, dass das Magazin einem «Druck von aussen nachgegeben hat». Begründen konnte er seinen Verdacht nicht.
Im Künstlerbrief, der von über 8000 internationalen Künstlerinnen und Künstlern unterschrieben wurde, auch aus der Schweiz, ist von Kriegsverbrechen gegen Palästinenser die Rede. Selbst das Wort «Genozid» wird verwendet, als habe sich Israel zum Ziel gesetzt, alle Menschen in den palästinensischen Gebieten zu vernichten.
Zwar beteuern die Unterzeichnenden, sie würden «jegliche Gewalt gegen Zivilisten» verurteilen. Sie halten es aber nicht für nötig, das Massaker der Hamas vom 7. Oktober zu erwähnen. Und sagen deshalb auch nichts über deren Hauptmotiv. Denn wenn Israel mit arabischen Staaten eine Lösung für die Palästinenser finden würde, und nach einer solchen hatte es ausgesehen, würde die Hamas arbeitslos.
Die Künstlerin Hito Steyerl deutet das Massenschreiben als Ausdruck eines Herdentriebs und kritisiert die Unterzeichnenden im Gespräch mit dem «Spiegel» als Vertreter einer «identitären Pseudo-Linken». Darum wäre es für die überzeugte Linke undenkbar, einen solchen Brief durch Unterschreiben zu legitimieren.
Vom gemütlichen Sofa aus
Auch in der Schweiz reagieren Intellektuelle fassungslos. Er habe den Brief von elf verschiedenen Quellen zugeschickt bekommen, sagt Damian Christinger. Christinger arbeitet als Kurator und engagiert sich als international vernetzter Experte für Kunstprojekte in Ländern wie den USA, Kolumbien oder Indien. «Ich finde es schon indiskutabel, dass der Brief das Leiden der Palästinenser nicht nur einseitig, sondern ausschliesslich als Folge einer israelischen Kolonialpolitik darstellt», sagt er. Auch halte er es für «komplett geschichtslos», dass Intellektuelle aus europäischen Ländern Israel moralisch drangsalieren würden. «Diese Art von einseitiger Solidarisierung ist für mich indiskutabel.»
So sieht es auch Thomas Meyer, der jüdische Zürcher Schriftsteller. Er analysiert den offenen Brief als Symptom einer «hilflosen Betroffenheit». Und fragt sich, wie zum Beispiel Schweizer Künstler, die jetzt nach Frieden für Gaza rufen würden, auf eine islamistische Terrorgruppe reagierten, die eine Kita angreifen und alle Kinder darin massakrieren würden. Ohnehin fände er es «unglaublich anmassend, vom gemütlichen Sofa aus Israel zu diktieren, was es jetzt machen müsse».
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