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Einordnung nach Tod des Präsidenten
Steht der Iran vor einer grossen Krise?

A handout picture released by the Iranian presidency shows Iran's First Vice President Mohammad Mokhber, with the seat of the late president Ebrahim Raisi (portrait) next to him empty, addressing the country's cabinet in Tehran on May 20, 2024. After Iranian President Ebrahim Raisi and Foreign Minister Hossein Amir-Abdollahian were confirmed dead on May 20 when search and rescue teams found their crashed helicopter in a fog-shrouded western  Iranian mountain region, the Islamic republic's supreme leader, Ayatollah Ali Khamenei, declared five days of mourning and assigned Mokhber, 68, to assume interim duties ahead of elections within 50 days. (Photo by Iranian Presidency / AFP) / === RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / HO / IRANIAN PRESIDENCY" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS ===
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Noch bevor die Suchmannschaften in den Bergen der Provinz Ost-Aserbaidschan das Wrack des Helikopters von Präsident Ebrahim Raisi gefunden hatten, hatte der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, am Sonntagabend die Staatsmedien eine Botschaft verbreiten lassen: «Es wird keine Unterbrechung der Regierungsgeschäfte geben», versicherte der mächtigste Mann im politischen System der Islamischen Republik.

Tatsächlich sieht Artikel 131 der Verfassung eine Regelung vor, sollte der Präsident im Amt sterben: Der Erste Vizepräsident, Mohammad Mokhber (68), übernimmt die Amtsgeschäfte des Regierungschefs und bildet zusammen mit dem Sprecher des Parlaments und dem Chef der Justiz, ebenfalls ein Religionsgelehrter, ein Gremium, das binnen fünfzig Tagen Wahlen organisiert.

Als Nachfolger aufgebaut

Doch das formale Verfahren greift zu kurz als Antwort auf die Frage, was der Tod von Ebrahim Raisi und mit ihm des Aussenministers Hossein Amir-Abdollahian für das Regime in Teheran bedeutet. Khamenei, der als Oberster Führer die Richtlinien der Politik bestimmt, nicht zuletzt in allen Fragen der Aussen- und Sicherheitspolitik, hatte den 63 Jahre alten Raisi über Jahre hinweg zum potenziellen Nachfolger seiner selbst aufgebaut.

Khamenei ist im April 85 Jahre alt geworden und hat immer wieder mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen. 2014 musste er sich einer Prostata-Operation unterziehen, mutmasslich wegen einer Krebserkrankung. Vor zwei Jahren löste eine längere Abwesenheit von öffentlichen Terminen Spekulationen über eine schwere Krankheit aus.

Rescue team members recover the body of a victim from the crash site of a helicopter carrying Iranian President Ebrahim Raisi in Varzaghan, in northwestern Iran, on May 20, 2024. Iranian President Ebrahim Raisi was declared dead on May 20 after rescue teams found his crashed helicopter in a fog-shrouded western mountain region, sparking mourning in the Islamic republic. (Photo by AZIN HAGHIGHI / MOJ News Agency / AFP)

Leitendes Prinzip für Khamenei ist, den Geist der Islamischen Revolution von 1979 zu bewahren – und Raisi galt nicht nur ideologisch als linientreu; seine Biografie prädestinierte ihn für diese Rolle. Er hat an der Revolution als 18-Jähriger teilgenommen und gehörte damit der letzten Generation von Funktionären an, die den Umsturz noch aktiv erlebt haben. Zudem stieg er schnell auf in der Justiz des neuen islamischen Systems, und er war an der Ermordung Tausender Regimegegner beteiligt.

Hardliner und Generalstaatsanwalt

Schon als Raisi 2017 bei der Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber Hassan Rohani, einen pragmatischen Konservativen, deutlich unterlag, galt der Hardliner und frühere Generalstaatsanwalt als Favorit des Obersten Führers. In den folgenden Jahren marginalisierte Khamenei über den von ihm kontrollierten iranischen Wächterrat alle anderen politischen Strömungen des Regimes. Bei der Präsidentenwahl 2021 liess der Rat alle Mitbewerber, die Raisi hätten gefährlich werden können, erst gar nicht zu.

Die Folge war zwar ein massiver Verlust an Legitimität des politischen Systems. Schon bei der Präsidentenwahl 2021 brach die Wahlbeteiligung, vom Regime selbst als Gradmesser für den Rückhalt ausgegeben, auf 48,5 Prozent ein. Vier Jahre zuvor waren es noch 73,3 Prozent gewesen. Bei der Parlamentswahl im März gaben sogar nur noch 40,6 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Zugleich aber hat Khamenei in allen wichtigen Bereichen der Politik seinen ultrakonservativen Kurs konsolidiert.

epaselect epa11355031 Iranian President Ebrahim Raisi attends an inauguration ceremony of the joint Iran-Azerbaijan-constructed Qiz-Qalasi dam on the Aras River, at the Iran-Azerbaijan border in north-western Iran, 19 May 2024 (issued 20 May 2024). President Raisi, Foreign Minister Amir-Abdollahian and several others were killed in a helicopter crash on 19 May 2024, after an official visit in Iran's northwest near the border with Azerbaijan, the Iranian government confirmed. Iran announced a five-day public mourning for Raisi's death.  EPA/STRINGER

Raisi schickte die Moralpolizei auf die Strassen zurück, die Frauen verprügelt, wenn diese sich nicht gemäss den Kleidervorschriften bedecken. Die junge Kurdin Jina Mahsa Amini starb im September 2022 nach Misshandlungen auf einem Polizeirevier in Teheran. Der Fall löste landesweit Proteste aus.

Die Repression im Iran hält bis heute an

Da sich so viele verschiedene gesellschaftliche Gruppen beteiligten, wurden die Demonstrationen zur grössten Herausforderung für das Regime seit der Grünen Revolution – jenen Protesten also, nach denen Mahmud Ahmadinejad 2009 zum zweiten Mal zum Präsidenten erklärt worden war. Monatelang antwortete die Führung mit brutaler Gewalt; die Repression hält bis heute an. Im vorigen Jahr liess der Iran mehr als 800 Menschen hinrichten – so viel wie kein anderes Land ausser China.

Aussenpolitisch war das Regime zwar auf einen gewissen Ausgleich mit den arabischen Golfstaaten bedacht, wobei Aussenminister Amir-Abdollahian eine Rolle spielte – er sprach Arabisch. In den vergangenen Wochen gab es indirekte Gespräche zwischen dem Iran und den USA, vermittelt von Oman, um zu verhindern, dass es zu einem umfassenden Krieg im Nahen Osten kommt.

TOPSHOT - (FILES) Iran’s Foreign Minister Hossein Amir-Abdollahian speaks during a UN Security Council meeting on the situation in the Middle East, including the Palestinian question, at UN headquarters in New York City on April 18, 2024. Iranian media declared President Ebrahim Raisi and Foreign Minister Hossein Amir-Abdollahian dead on May 20, 2024 after their helicopter crashed in a mountainous northwestern region, but there has not yet been any official confirmation. Contact was lost with the aircraft carrying him as well as Foreign Minister Hossein Amir-Abdollahian and others in East Azerbaijan province on May 19, 2024, reports said. (Photo by ANGELA WEISS / AFP)

Zugleich flochten die iranischen Revolutionsgarden, die direkt Khamenei unterstellte militärische Elite, ihr Netz von verbündeten Milizen in der Region immer enger. Dazu gehören die Hizbollah im Libanon, die Huthi im Jemen, schiitische Gruppen im Irak und in Syrien bis zu den sunnitischen Palästinensergruppen Islamischer Jihad und Hamas im Gazastreifen, die am 7. Oktober Israel mit Terror überzogen.

Wird Mohammed Baqer Qalibaf neuer Präsident?

Die Revolutionsgarden festigten zudem ihren Zugriff auf die Wirtschaft des Landes und Teile des politischen Systems. Auch liess Khamenei den Ausbau des Atomprogramms bis nahe an die Schwelle zur Nuklearwaffenfähigkeit vorantreiben. Es ist kaum damit zu rechnen, dass sich an diesen Konstanten der Politik des Regimes etwas ändert nach dem Tod Raisis.

Als potenzieller Nachfolger wird unter anderen Mohammed Baqer Qalibaf gehandelt, der Sprecher des Parlaments. Er war schon Kommandant der Luftwaffe der Revolutionsgarden, Polizeichef des Landes und Oberbürgermeister von Teheran. Allerdings gab es gegen ihn immer wieder Korruptionsvorwürfe. Übergangspräsident Mokhber gilt als Vertrauter Khameneis, es ist aber unklar, ob er eine Kandidatur anstrebt. Bekannt ist er im Iran kaum.

Zugleich stellt sich nach Raisis Tod wieder die Frage, wer Khamenei beerben könnte an der Spitze der Islamischen Republik, sollte er sterben oder sein Amt nicht mehr ausüben können. Wie zentral dessen Rolle ist, hat sich jüngst wieder gezeigt: Es war Khamenei persönlich, der den direkten Angriff auf Israel genehmigte, nachdem die israelische Luftwaffe bei einem Angriff in Damaskus mehrere Generäle der Revolutionsgarden getötet hatte.

88 Kleriker entscheiden

In der Verfassung gibt es auch hierfür ein Verfahren: Die Expertenversammlung, ein Gremium aus 88 schiitischen Klerikern, müsste seinen Nachfolger bestimmen. Deren Mitglieder sind zugleich mit dem Parlament für acht Jahre gewählt worden. Allerdings hat Khamenei sichergestellt, dass der Wächterrat nur Konservative zulässt, die sich ihm beugen. Aussortiert wurde so unter anderen Hassan Rohani, der acht Jahre lang Präsident war und zwei Wahlperioden Mitglied der Versammlung.

TOPSHOT - Iranians pray for President Ebrahim Raisi and Foreign Minister Hossein Amir-Abdollahian in Valiasr Square in central Tehran on May 19, 2024. A helicopter in the convoy Raisi and Amir-Abdollahian was involved in "an accident" in East Azerbaijan province in poor weather conditions on May 19, state television reported. (Photo by ATTA KENARE / AFP)

Im Iran wird spekuliert, dass Khameneis Sohn Mojtaba (54) anstrebt, seinem Vater in der Position des Obersten Rechtsgelehrten nachzufolgen, wie der Oberste Führer offiziell heisst. Umstritten ist, ob der Schüler des 2021 verstorbenen Ayatollah Taghi Mesbah Yazdi, des Chefideologen der Ultrakonservativen, die Anforderungen als islamischer Gelehrter erfüllt. Um Ali Khamenei ins Amt zu verhelfen, wurde damals auf den Status eines Grossayatollahs verzichtet, der von der Anerkennung durch die anderen schiitischen Gelehrten dieses höchsten Ranges abhängt.

Enge Verbindungen zum Geheimdienstapparat

Politisch gilt Mojtaba Khamenei aber als eine der einflussreichsten Personen im Büro des Obersten Führers, dem für Aussenstehende weitgehend undurchsichtigen Zentrum der Macht in der Islamischen Republik. Er pflegt enge Verbindungen zum Geheimdienstapparat und zu den Revolutionsgarden, die allerdings selber zunehmend eine eigenständige politische Rolle für sich in Anspruch nehmen. Allerdings ist unklar, ob andere Akteure im Regime eine dynastische Nachfolgeregelung mitmachen würden.

Auch neuerliche Massenproteste gelten als denkbares Szenario, denn das Leben der Menschen im Iran wird von Jahr zu Jahr schwieriger: Die Wirtschaft steht am Rande des Zusammenbruchs, die Inflation ist immens, die Repression wird immer härter. Und der Übergang könnte für Jahrzehnte die beste Chance bieten, einen grundlegenden Wandel herbeizuführen. Gerade deshalb hat Khamenei so viel dafür getan, sein Vermächtnis abzusichern.