700’000 Tote pro JahrAntibiotika: Investoren machen Druck auf McDonald’s und Co.
Rund 80 Prozent der Antibiotika werden in der industriellen Tierzucht eingesetzt. Das schadet auch den Konsumenten. Nun gibt es erste Erfolge im Kampf gegen das globale Problem.
Das Coronavirus hat eine Pandemie ausgelöst, die laut der Johns Hopkins University bisher rund 434’000 Menschen das Leben gekostet hat. Um das Virus zu bremsen, wurden Lockdown-Massnahmen verhängt, die einen nie da gewesenen Einbruch in der Weltwirtschaft zur Folge haben.
Erstaunlich wenig passiert dagegen im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Dabei sterben jedes Jahr weltweit rund 700’000 Menschen an den Folgen, dass Antibiotika nicht mehr wirken, wie ein britischer Regierungsbericht festgestellt hat. Allein in Europa sind es laut EU-Behörden über 33’000 Tote pro Jahr, in der Schweiz rund 300.
Das Problem ist seit langem bekannt: Antibiotika, die gegen bakterielle Infektionen wirken, werden zu oft eingesetzt. Dadurch bilden sich Resistenzen, Keime lassen sich durch Mittel wie Penicillin nicht mehr stoppen. Laut der Weltgesundheitsorganisation werden rund 80 Prozent aller Antibiotika in der Tierzucht eingesetzt. Und der Konsument nimmt beim Verzehr des Fleischs das Antibiotikum gleich mit auf.
Die Schweiz hat neben Deutschland eine der weltweit strengsten Regeln: So sind Antibiotika zur Steigerung der Leistung schon seit 1999 verboten. Auch im internationalen Vergleich kommen in der Schweiz Antibiotika in der Tierhaltung vergleichsweise moderat zum Einsatz.
Doch global ist das Problem ungelöst: China, die USA, Brasilien und Indien sind für 75 Prozent des weltweiten Antibiotikaverbrauchs verantwortlich. Damit die Massentierhaltung profitabel ist, werden gesunden Hühnern, Schweinen und Rindern aus Vorsicht Antibiotika verabreicht, damit die Tiere nicht krank werden und so nicht den Bestand infizieren.
Die Gesundheitsbehörden bekommen nun im Kampf gegen die Antibiotikaresistenzen einen mächtigen Verbündeten: internationale Grossinvestoren. Fondsanbieter wie Amundi, Fidelity und die Schweizer Adresse UBS und Pictet haben sich der FAIRR-Initiative angeschlossen. Sie setzen sich als Aktionäre bei Agrarkonzernen und grossen Restaurantbetreibern wie McDonald’s dafür ein, dass ihr Umgang mit den lebenswichtigen Antibiotika verantwortungsbewusster wird.
«Ziel ist, dass die grossen Lebensmittelproduzenten in den USA, Südamerika und Asien ihr Verhalten ändern.»
«Ziel ist, dass die grossen Lebensmittelproduzenten in den USA, Südamerika und Asien ihr Verhalten ändern», erklärt Catherine McCabe, die als Analystin beim Fondsinvestor BMO Global Asset Management das Thema betreut. «Anders als beim Klimawandel gibt es aber noch keinen Konsens unter den grossen Investoren, dass es bei diesem Thema Handlungsdruck gibt.»
Bei einer von FAIRR angestossenen Kampagne gegen Antibiotikamissbrauch machen immerhin 74 Investmentfirmen mit, die insgesamt rund 5 Billionen Dollar verwalten. Sie stehen mit 20 grossen Lebensmittelfirmen in Kontakt, um sie zum Beispiel davon abzubringen, regelmässig nicht kranken Tieren Antibiotika zu verabreichen. Das geschieht auch über Resolutionen an Generalversammlungen.
Der Druck scheint Wirkung zu zeigen: Im Jahr 2016 hatte erst ein grosser Fleischproduzent eine dezidierte Antibiotikapolitik. Nun sind es alle 20 Firmen, welche die FAIRR im Visier hat.
So hat Sanderson Farms, der grösste Geflügelproduzent der USA, angekündigt, zumindest die als besonders kritisch eingestuften Antibiotika in seinen Zuchtbetrieben nicht länger einzusetzen. Ein erster Schritt. «Null Antibiotika ist keine angemessene Antwort», sagt BMO-Expertin McCabe, «sie sollen aber nur eingesetzt werden, wenn ein Tier krank ist und der Einsatz überwacht wird.»
Fortschritte in der Lebensmittelindustrie
Der Schnellrestaurant-Riese McDonald’s hat sich im Jahr 2017 eine neue Antibiotikapolitik gegeben. Sie sieht zum Beispiel vor, dass der routinemässige vorsorgliche Einsatz von Antibiotika bei seinen Fleischlieferanten nicht erlaubt ist. Für die Beschaffung von Rindfleisch läuft derzeit ein Monitoringprogramm in den zehn wichtigsten Bezugsmärkten, um bei den Fleischlieferern den Einsatz von Antibiotika zu quantifizieren. Bis Ende dieses Jahres will McDonald’s dann bezifferte Reduktionsziele pro Markt festlegen und ab 2022 öffentlich über die Zielerreichung berichten. Nach Angaben der Medienstelle der Konzernzentrale in den USA hat sich der Restaurant-Riese bisher noch von keinem seiner Fleischlieferanten wegen Verstössen in der Antibiotikapolitik getrennt.
«In der Lebensmittelindustrie haben wir in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte beobachtet», erklärt die UBS. In der Anlagepolitik würde die Grossbank die Aktien jener Firmen übergewichten, die bei der Anpassung an eine nachhaltigere Zukunft besser vorankommen.
Fleischproduzent Bell im «Hochrisiko»-Index
Neben der Kampagne, die gezielt auf eine Verringerung des Antibiotika-Einsatzes abzielt, hat die FAIRR-Initiative auch einen eigenen «Protein Producer Index» entwickelt: Dieser beruht auf insgesamt neun Risikokategorien, zu denen neben Antibiotika-Resistenzen auch Punkte wie Klimaschutz, Arbeitsbedingungen, Wasser- und Landverbrauch und Tierwohl zählen. Die Genfer Privatbank Pictet schliesst Unternehmen aus ihrem Anlageuniversum aus, die in diesem Index unter «Hochrisiko» geführt werden.
Das ist zum Beispiel für den Schweizer Fleischproduzenten Bell der Fall. «Das Unternehmen veröffentlicht keine Informationen in Bezug auf den Einsatz von Antibiotika oder über seine Politik mit Blick auf den Antibiotikaeinsatz», begründet ein FAIRR-Sprecher die Einstufung.
Bell erklärte, in der Frage mit der FAIRR-Initiative «bisher keinen Kontakt» gehabt zu haben. «Für unsere Vertragsproduzenten im Geflügelbereich ist ein Monitoring im Einsatz», entgegnet das Unternehmen. «In unseren Schlachtbetrieben führen wir Rückstandsanalysen durch.» Weitere Angaben dazu sollen im neuen Nachhaltigkeitsbericht folgen.
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