Interview zum Havanna-Syndrom«In der Schweiz fühlten sich russische Agenten sicher»
Der Investigativ-Journalist Christo Grozev erklärt, warum Genf ein wichtiger Stützpunkt für die Killertruppe des russischen Militärgeheimdienstes war.
Christo Grozev enthüllte für die Investigativ-Plattform «Bellingcat» die russischen Hintermänner des Abschusses einer malaysischen Passagiermaschine 2014 sowie des Giftanschlags auf den Doppelagenten Sergei Skripal. Seit kurzem ist er Chefrechercheur des regimekritischen russischsprachigen Onlinemediums «The Insider» und hat nun die russische Killertruppe «Einheit 29155» als verantwortlich für das «Havanna-Syndrom» identifiziert.
Herr Grozev, wie wichtig war Genf für die russischen Agenten, die Anschläge im Ausland planten und ausführten?
Sehr wichtig! Das ist bei den Recherchen zum Havanna-Syndrom klar geworden. Die Mitglieder der Agenteneinheit 29155 nutzten Genf als Stützpunkt. Hier konnten sie sich versammeln und schnell zu einer weiteren Basis in Frankreich fahren.
Wie vielen Agenten konnten Sie einen Aufenthalt in Genf nachweisen?
Von 12 Personen wissen wir es sicher. Einige waren an der russischen Vertretung der Welthandelsorganisation akkreditiert. Andere benutzten einen Englisch-Sprachkurs in Genf als Vorwand für ihre Reisen nach Europa.
Englisch-Sprachkurse im frankofonen Genf?
Es ist wirklich komisch. Und wahrscheinlich der Grund, wieso die russischen Spione so schlecht Englisch sprechen. (lacht) Das ist natürlich ein Witz. Es machte einfach keinen Sinn. Sie meldeten sich immer bei einer speziellen Sprachschule an. So bekamen sie Schengen-Visa und hatten eine gute Erklärung für ihre Reisen.
Hatten die Spione in Genf geheime Wohnungen?
Wir kennen Aberdutzende Buchungen für Hotels in der Nähe des Genfer Flughafens. Immer für einen längeren Zeitraum. Sie konnten leicht von Genf zum eigentlichen Ziel ihrer Operationen reisen und dann zurückkommen, um sich neu zu gruppieren.
Es gibt drei Fälle von Amerikanern, die in Genf mutmasslich am Havanna-Syndrom litten. Also verübten die russischen Agenten auch in der Schweiz Anschläge?
Es sieht so aus. Aber wir haben die Daten zu insgesamt 100 möglichen Angriffen noch nicht alle ausgewertet. Wir werden uns noch intensiver mit Genf beschäftigen.
Haben die Schweizer Behörden die Aktivitäten der Russen in Genf nicht ernst genommen?
Davon bin ich überzeugt. Die Schweiz hat die Aktivitäten der russischen Agenten zu lange ignoriert. Das sah offensichtlich auch der russische Militärgeheimdienst GRU so. Er unternahm viel weniger Anstrengungen zur Tarnung als in anderen westlichen Staaten. In der Schweiz blieben die russischen Spione unter dem Radar. Hier fühlten sie sich sicher. Ich hoffe, dass sich das mittlerweile geändert hat.
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