Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Spitalverbandschef im Interview
«Wir müssen die Spitäler radikal auf ambulante Versorgung umstellen»

Portrait von Christian Schär auf dem Careum Bildungszentrum Campus. 07.11.23

Interview mit dem Präsidenten des Zürcher Spitalverbandes

Christian Schär sagt, wie sich der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen entschärfen lässt
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Krankenkassenprämien steigen massiv, Sparen ist das dominante Thema im Gesundheitswesen. Herr Schär, was sagen Sie als Verbandspräsident der Zürcher Krankenhäuser: Kann man bei den Spitälern sparen?

Wir fokussieren immer auf die Kosten. Dabei hat die Schweiz kein Kostenproblem. Die Prämien steigen mehr als die Kosten. Das zeigt: Wir haben in erster Linie ein Finanzierungsproblem. Wir geben 11,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts für das Gesundheitswesen aus, damit sind wir im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Wir sollten die Daten anschauen: Die Schweiz wird bald neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner haben; die Menschen werden zunehmend älter und haben oft mehrere Erkrankungen; der medizinische Fortschritt ermöglicht immer mehr Behandlungen. Aus all diesen Gründen werden die Gesundheitskosten zwingend weiter steigen.

Müssen wir das einfach hinnehmen?

Die Politik könnte Stopp sagen und Massnahmen ergreifen. Das Beispiel Grossbritannien zeigt, wo das hinführt. Dort müssen die Leute monate- oder jahrelang auf eine Operation warten. Wenn wir unser Niveau halten möchten, wird es nicht günstiger.

Nirgends ist die Spitaldichte so hoch wie in der Schweiz. Auch im Kanton Zürich gibt es viele Spitäler. Brauchen wir sie wirklich alle?

Ja, unsere Spitäler sind voll. Es gibt schon heute längere Wartezeiten als noch vor drei Jahren. Wir hören von Leuten, dass sie sechs Wochen auf einen dringenden Eingriff warten müssen. Und jetzt in der Winterzeit, wenn die Infekte zunehmen, werden die Wartezeiten weiter steigen. Was die Spitäler aber machen sollten: die Behandlungsangebote besser untereinander abstimmen.

Die Spitäler müssen regelmässig Abteilungen schliessen, weil ihnen Personal fehlt. Gäbe es ein oder zwei Betriebe weniger, hätte es mehr Fachkräfte für den Rest.

Das ist keine Lösung. Es ist eine Illusion, Mitarbeitende beliebig verschieben zu wollen. Manche mögen es, in einer hoch technisierten Umgebung tätig zu sein, andere ziehen die Arbeit in einem Regionalspital vor. Es ist auch wichtig, dass die Menschen eine Notfallstation in der Nähe haben und die medizinische Grundversorgung wohnortnah erfolgt. Gerade für die älter werdende Bevölkerung ist dies essenziell. Zudem sind die Fallkosten in diesen Institutionen unterdurchschnittlich.

Der Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu. Die Ausbildungszahlen in der Pflege stagnieren oder sind neuerdings sogar rückläufig – weshalb?

Die Pandemie war eine enorme Belastung fürs Gesundheitspersonal, das hat abgeschreckt. Dazu kommt, dass die jüngere Generation ein anderes Wertesystem hat. Die jungen Leute wollen nicht ihr Leben lang im Drei-Schicht-System und an sieben Tagen die Woche arbeiten. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und von der Pflästerlipolitik zum grossen Wurf wechseln.

Gelingt dieser mit der Umsetzung der Pflegeinitiative?

Nein. Die Pflegeinitiative ist zwar wichtig, denn sie fördert die Ausbildung. Spitäler, Schulen und Studierende sollen mehr Geld erhalten – voraussichtlich Ende 2024 wird die Massnahme im Kanton Zürich anfangen zu greifen. Eine nachhaltige Verbesserung bringt sie allerdings nicht.

Warum nicht?

Die vorgesehenen Gelder reichen nicht aus und sind auf acht Jahre beschränkt. Und dann? Der bevölkerungsreichste Kanton Zürich erhält zudem viel zu wenig Bundesmittel. In einer zweiten Etappe will die Pflegeinitiative die Arbeitsbedingungen verbessern und die Löhne anheben. Doch das können sich die meisten Spitäler schon heute gar nicht leisten – ausser sie werden massiv von der öffentlichen Hand subventioniert.

«In den Niederlanden werden 70 Prozent der chirurgischen Eingriffe ambulant durchgeführt, in der Schweiz nur 30 Prozent.»

Was wäre denn nachhaltig?

Wir müssen die Spitäler radikal auf die ambulante Versorgung umstellen. Das heisst, wir operieren, ohne dass die Patienten vor oder nach dem Eingriff im Spital übernachten müssen. Das erfordert keinen Schichtbetrieb, sondern ist an fünf Tagen von 9 bis 17 Uhr möglich. In den Niederlanden werden heute 70 Prozent der chirurgischen Eingriffe ambulant durchgeführt, in Frankreich 50 Prozent. In der Schweiz sind es lediglich 30 Prozent. Wenn wir so viel wie möglich ambulant behandeln, werden wir den Fachkräftemangel massiv entschärfen. Und wie die Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, steigt damit auch die Qualität: Es gibt weniger Infektionen, und der Heilungsprozess verläuft rascher.

Was hindert die Spitäler daran, es den Niederlanden gleichzutun?

Unser Finanzierungssystem bestraft das Spital, wenn es die Patienten ambulant statt stationär behandelt. Denn der geltende ambulante Tarif deckt die Betriebskosten nur zu 84 Prozent. Die Verschiebung von stationär zu ambulant kann nur erfolgen, wenn der Tarif kostendeckend wird.

Wer entscheidet das?

Die Höhe der Tarife, der sogenannte Taxpunktwert, wird durch die Tarifpartner – Versicherer und Spital – verhandelt und vom Regierungsrat genehmigt. Kommt keine Einigung zustande, muss der Regierungsrat den Taxpunktwert festsetzen. Dagegen kann Beschwerde erhoben werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine Einigung nur sehr schwer zu erzielen ist.

Eine Tariferhöhung ist unrealistisch, wo doch jetzt alle vom Sparen reden.

Insgesamt würde sie das Gesundheitswesen nicht verteuern. Im Gegenteil: Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens PWC beträgt das Sparpotenzial eine Milliarde Franken pro Jahr. Das sollten wir eigentlich realisieren. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Ambulantisierung den Fachkräftemangel entschärft, weil es weniger Drei-Schicht-Betrieb, insbesondere weniger Nachtschichten braucht.

Und warum passiert nichts?

Bisher war der Druck zu wenig gross, um etwas zu ändern. Vor Corona ging es den Spitälern finanziell noch besser, und beim Personal konnte man sich mit ausländischen Fachkräften behelfen. Doch in Zukunft wird es schlimmer werden. Die weltweite Teuerung ist ein Brandbeschleuniger. Wenn wir jetzt den Wechsel nicht schaffen, können wir das hohe Niveau unserer Gesundheitsversorgung nicht mehr aufrechterhalten. Dann kommt es vielleicht einmal so weit wie in England, wo man monatelang auf wichtige Behandlungen warten muss.