Massnahmen gegen FachkräftemangelSo gelang es Zürich, den Pflegenotstand zu entschärfen
Höhere Löhne und flexible Arbeitsmodelle: Das Stadtspital Zürich konnte die Vakanzen in der Pflege markant reduzieren.
Die Zahlen aus dem Stadtspital Zürich sind beeindruckend: Innert eines Jahres ist die Fluktuation beim Pflegepersonal von 16 Prozent auf unter 10 Prozent gesunken. Die Kosten für Temporärpersonal sind um ein Drittel gesunken. Und die Zahl der unbesetzten Stellen an den Standorten Waid und Triemli konnte von 60 auf 15 reduziert werden.
Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) ist selber erstaunt, wie gut die Massnahmen gewirkt haben, welche die Stadt im vergangenen Jahr ergriffen hat, um die Arbeit in der Pflege attraktiver zu machen. «Bei insgesamt rund 1500 Pflegestellen sind 15 Vakanzen so gut wie nichts», sagt Hauri. Und: «Wir müssen im Stadtspital keine Betten schliessen, weil das Personal fehlt.»
Dienstpläne mitgestalten
Der Personalmangel in der Pflege ist in der Schweiz notorisch. Die Pandemie hat das Problem zusätzlich verschärft – und ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Das Zürcher Stadtparlament reagierte darauf mit mehreren Vorstössen, in denen es den Stadtrat aufforderte zu handeln. Dieser beschloss in der Folge ein ganzes Massnahmenpaket.
Einerseits überprüfte die Stadt Zürich die Pflegelöhne in allen städtischen Betrieben, worauf gut 70 Prozent der Mitarbeitenden im August 2022 eine Lohnerhöhung um rund 10 Prozent erhielten. Andererseits verbesserte sie die Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel dürfen die Pflegeteams viel Einfluss auf ihre Dienstpläne nehmen, und sie können eine Gleitzeit am Anfang und Ende der Schichten einführen. Im Stadtspital gibt es zudem einen grossen Personalpool, den die einzelnen Abteilungen bei kurzfristigen Vakanzen in Anspruch nehmen können.
«Entlastung und Flexibilität im Job ist sehr wichtig für die Pflegenden», sagt Patrick Witschi, Departementsleiter Pflege im Stadtspital. Etwa die Hälfte aller Teams nutze heute die Möglichkeit, sich selber zu organisieren. Und der Pool sei sehr beliebt: Die 30 Vollzeitstellen konnten problemlos mit 50 Personen besetzt werden, die mehrheitlich Teilzeit arbeiten, weil sie zum Beispiel noch studieren. Auch die Gleitzeit werde rege genutzt, vor allem von Eltern, die so weniger Stress haben, die Kinder in die Kita zu bringen oder von dort abzuholen.
«Primär müssen wir schauen, dass die Leute im Beruf bleiben.»
«Die Leute sollen Freude haben am Beruf, und das möglichst für immer», beschreibt Stadtrat Hauri das Ziel der Massnahmen. Und spricht damit die hohe Ausstiegsquote in der Pflege an. Die Pflegeinitiative, welche das Schweizer Volk nach der Pandemie angenommen hat, zielt in einem ersten Schritt vor allem auf eine Erhöhung der Ausbildungszahlen ab. Hauri hält dies zwar ebenfalls für wichtig, «aber primär müssen wir schauen, dass die Leute im Beruf bleiben».
Die erste Bilanz, die am Mittwoch vom Stadtrat publiziert wurde, zeigt dem Gesundheitsvorsteher, dass Zürich auf dem richtigen Weg ist. Hauri wurde anfangs auch kritisiert, vor allem von anderen Spitälern. Zürich könne mit Steuergeldern einfach alles finanzieren, hiess es. Die Lohnerhöhungen kosten die Stadt jährlich rund 20 Millionen Franken, wovon die Hälfte aufs Stadtspital entfällt. Zudem wurde prophezeit, die Pflegenden reduzierten ihr Pensum, wenn sie mehr verdienten.
Beides stimme nicht, sagt Hauri. Die bisherigen Mitarbeitenden seien grösstenteils bei ihren Pensen geblieben. «Und wir geben nicht einfach nur mehr Geld aus, sondern können gleichzeitig einsparen.» Die Ausgaben für Temporärpersonal seien um mehrere Millionen Franken gesunken, und es fielen weniger Rekrutierungskosten an.
Fakt ist: Die Stadt Zürich zahlt landesweit die höchsten Pflegelöhne. Eine Pflegefachfrau mit langjähriger Erfahrung verdient rund 100’000 Franken im Jahr, eine Fachangestellte Gesundheit über 80’000 Franken. Fakt ist auch, dass die Stadt die anderen Spitäler und Kliniken in Zugzwang bringt.
Hauri relativiert die Bedeutung des Lohnes. Der sei schon früher in Zürich am höchsten gewesen und sei nur einer von mehreren Faktoren beim Entscheid, eine Stelle anzunehmen. Aber natürlich habe die Stadt einen Konkurrenzvorteil: «Wir sind vorausgegangen bei der Umsetzung der Pflegeinitiative. Wir wollen als Arbeitgeberin attraktiv sein und die Pflegeberufe langfristig stärken.»
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