Internationale Organisationen in der SchweizDie Nato will nach Genf expandieren
Noch steht der offizielle Antrag aus. Doch der Bundesrat bereitet das Terrain für ein neues Verbindungsbüro des Nordatlantikpakts vor. SP und SVP sehen das kritisch – FDP, Mitte und Grüne sind dafür.
Die Notiz ist unscheinbar und gut versteckt. Für die Schweiz hat sie aber politische Sprengkraft. Die Nato will am UNO-Standort in Genf ein Verbindungsbüro eröffnen. Darüber informierte das nordatlantische Militärbündnis am 11. Juli nach seinem Gipfel in Vilnius in einem Communiqué.
Unter Punkt 86 heisst es: «Wir prüfen die Möglichkeit der Einrichtung eines Verbindungsbüros in Genf, um unser Engagement bei den Vereinten Nationen und anderen einschlägigen internationalen Organisationen weiter zu verstärken.» Das Büro dürfte so schlank aufgestellt sein wie jenes bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien, das einen Leiter (ohne Botschaftertitel) und zwei bis drei Mitarbeitende beschäftigt.
Das Aussendepartement in Bern bestätigt den Sachverhalt auf Anfrage. Und noch mehr: Nach Vorgesprächen ist die Bundesverwaltung damit beschäftigt, Vorbereitungen zu treffen, damit die Nato nach einem Entscheid des Bundesrats in der neutralen Schweiz willkommen geheissen werden kann.
Neutralitätsrechtlich «kein Problem»
In seinem Zusatzbericht zum sicherheitspolitischen Bericht hat der Bundesrat den Weg für die Eröffnung eines solchen Büros innenpolitisch vorgezeichnet. Ein Sprecher im Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis ergänzt: «Ein Verbindungsbüro der Nato in Genf stellt kein bilaterales Büro der Allianz zur offiziellen Schweiz dar, sondern ein Verbindungsbüro zwischen der Nato und den internationalen und nicht staatlichen Organisationen mit Sitz in Genf.»
Das Nato-Büro in Genf würde derselben multilateralen Logik folgen wie die vergleichbaren Büros in New York (am UNO-Hauptsitz) und in Wien (OSZE). Die Eröffnung eines Nato-Verbindungsbüros in der Schweiz sei auch neutralitätsrechtlich kein Problem, so der Sprecher, denn das Verteidigungsbündnis stelle eine zwischenstaatliche Organisation gemäss Schweizer Gaststaatgesetz dar.
Gleiche Interessen wie die UNO
Aber was will die Nato in Genf? Auf den ersten Blick jedenfalls scheinen die Genfer Friedensdiplomatie und das Militärbündnis Nato wenig gemeinsam zu haben. Ein Genfer Diplomat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, widerspricht aber. Beide Institutionen seien in den 1940er-Jahren als Folge des Zweiten Weltkriegs gegründet worden, funktionierten multilateral und hätten Frieden und Sicherheit als Ziel, auch wenn sie mit gänzlich anderen Mitteln arbeiteten.
Die Nato verweist auf ihrer Website ganz offiziell auf ihre Nähe zur UNO. Man kooperiere seit den 1990er-Jahren in der Friedensförderung, aber auch in der Krisenbewältigung, heisst es da. Die Militäroperationen in Bosnien und Herzegowina, Afghanistan und Libyen habe man auf der Grundlage von Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates durchgeführt.
«Genf bietet eine breit anerkannte Expertise im Völkerrecht, in neuen Sicherheitsherausforderungen und in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen.»
Der europäische UNO-Sitz in Genf ist für die Nato aber auch aus anderen Gründen interessant. Dort betreiben die Vereinten Nationen all jene Organisationen, die in Krisenfällen ein rasches Eingreifen ermöglichen, sei es bei Naturkatastrophen, Hunger- oder Flüchtlingskrisen und vielen anderen. Thomas Greminger, Schweizer Botschafter und Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, sagt: «Genf bietet eine breit anerkannte Expertise im Völkerrecht, bei neuen Sicherheitsherausforderungen und in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen.» Auch für Greminger ist klar: «Ich denke, dass auf der Grundlage des Gaststaatsgesetzes die Eröffnung eines ‹liaison office› der Nato möglich ist.»
Fast unbemerkt nach Wien
Doch die Angelegenheit ist nicht so unpolitisch, wie sie Nato und Aussendepartement in Bern darstellen. Dies zeigt ein Blick ins Ausland. «Wie in Wien fast unbemerkt die Nato einzog», titelten die «Salzburger Nachrichten» im Januar 2019. Österreich vermelde sonst stolz jede neue Ansiedlung einer internationalen Organisation, bemerkte die Zeitung. Im Fall des Nato-Verbindungsbüros sei die Nachricht aber in einem Sitzungsprotokoll versteckt worden, um jeden Anschein einer Annäherung an das Militärbündnis zu vermeiden.
Publik wurde die delikate Angelegenheit, nachdem Aussenminister Alexander Schallenberg mit dem Nato-Generalsekretär eine sogenannte Amtssitzvereinbarung unterzeichnet hatte. Beim Verbindungsbüro gehe es hauptsächlich um den Kontakt zur in Wien ansässigen OSZE sowie anderen internationalen Einrichtungen, so die «Kleine Zeitung». Auch sei die österreichische Expertise auf dem Westbalkan gefragt.
Während die Idee des Verbindungsbüros in Genf am letzten Nato-Gipfel keine Wellen warf, war der Plan für eine Vertretung in Japan beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Vilnius ein grösseres Streitthema. Die USA, aber auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg drängen auf eine Präsenz in Tokio. «Wir sollten nicht denselben Fehler machen mit Blick auf China und andere autoritäre Regimes», sagte Stoltenberg vor dem Hintergrund von Russlands Überfall auf die Ukraine. Was heute in Europa geschehe, könne morgen in Asien passieren, sagte Stoltenberg mit Blick auf Chinas Ansprüche beziehungsweise Drohgebärden gegenüber Taiwan.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron blockierte in Vilnius die Pläne mit dem Argument, Japan sei weit weg vom Bündnisgebiet der transatlantischen Allianz. Eine neue Präsenz der Nato berge auch Gefahren.
Schweizer Annäherung an die Nato
In der Schweiz fallen die Reaktionen auf das geplante Nato-Büro kontrovers aus. Aussen- und Sicherheitspolitikerin Andrea Gmür begrüsst im Namen der Mitte-Partei dessen Eröffnung. Die Nato-Präsenz stärke das internationale Genf, das mit dem IKRK, dem Menschenrechtsrat und den UNO-Organisationen ein wichtiger internationaler Hub bleibe. Auch für FDP-Sicherheitspolitikerin Maja Riniker wäre die Eröffnung eines offiziellen Nato-Verbindungsbüros für das internationale Genf «von Vorteil». Die Ansiedlung würde jener Annäherung an die Nato entsprechen, wie sie die FDP fordere.
Für den grünen Genfer Nationalrat Nicolas Walder gehört es zum internationalen Genf, militärische Organisationen zu empfangen, denn «in Genf werden mit dem humanitären Völkerrecht der Frieden sowie die Regeln des Krieges ausgehandelt». Weil die Nato zentraler militärischer Akteur sei, sei es wichtig, dass die Schweiz der Organisation die Möglichkeit biete, in Genf mit der UNO und dem IKRK in Kontakt zu treten. «Dies könnte sich positiv auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Nato-Truppen auswirken», so Walder.
Anders sieht das SP-Aussenpolitiker Fabian Molina. Der Zürcher findet es richtig, dass Nato-Länder die Ukraine unterstützen; «dennoch stehen wir der Eröffnung eines offiziellen Nato-Büros in Genf kritisch gegenüber».
Gegen die neue Nato-Präsenz ist die SVP. Aussenpolitiker Franz Grüter sagt: «Als unabhängiges, neutrales Land dürfen wir nicht Standort sein für Verteidigungsbündnisse.» Eine weitere Annäherung an die Nato sei nicht akzeptabel.
Wann der Bundesrat Ja sagt zum neuen Nato-Büro, hängt nun davon ab, wann die Nato offiziell einen Antrag stellt. Verbunden mit einer Zulassung wären weitreichende Privilegien für Nato-Mitarbeitende, die per Gaststaatgesetz gewährt werden. Dazu gehören Immunität vor Strafverfolgung, Vorrechte beim Aufenthalt in der Schweiz und Steuerbefreiung.
Gespannt darf man schon heute auf den Antrittsbesuch der neuen Nato-Botschafterin oder des neuen Nato-Botschafters bei der Generalsekretärin der UNO in Genf sein. Den Posten besetzt Tatiana Walowaja, eine ehemalige russische Diplomatin.
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