Weniger Häftlinge wegen CoronaIn Schweizer Gefängnissen hat es so viele freie Plätze wie lange nicht mehr
Die Belegung war letztmals im Jahr 2003 so tief, die Zahl der Häftlinge 2011. Warum das vor allem mit der aktuellen Pandemie zu tun hat.
Die Zahl der Häftlinge in der Schweiz hat erstmals seit langem deutlich abgenommen. 6316 Menschen waren am 31. Januar 2021 im Gefängnis – 8,4 Prozent weniger als am gleichen Stichtag ein Jahr zuvor und so wenige wie seit 2011 nicht mehr. Das zeigt eine aktuelle Erhebung des Bundesamtes für Statistik.
Abgesehen von der Untersuchungshaft gingen die Zahlen bei allen Haftformen zurück, am stärksten bei der sogenannten ausländerrechtlichen Administrativhaft. Sie erlaubt es den Schweizer Behörden, Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung zur Sicherstellung ihrer Ausschaffung zu inhaftieren. Ende Januar waren 115 Personen deswegen im Gefängnis, nicht einmal halb so viele wie ein Jahr davor.
Dieser Rückgang sei im Wesentlichen eine Folge von Corona-Massnahmen, steht im Jahresbericht des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats (OSK), zu dem die Kantone Glarus, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Zürich sowie die beiden Appenzell gehören. «Gemäss Bundesgericht ist die ausländerrechtliche Administrativhaft nur zulässig, wenn eine Ausschaffung tatsächlich absehbar ist. Und das war wegen der Pandemie im vergangenen Jahr meist nicht der Fall», erklärt OSK-Sekretär Joe Keel.
«Um Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten, mussten die Gefängnisse ausgedünnt werden.»
Zudem wurden viele Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen aufgeschoben, der Haftantritt also auf ein späteres Datum verlegt. «Um die Schutzkonzepte einhalten zu können, also die Hygiene- und Abstandsregeln, mussten Anstalten ausgedünnt werden», sagt Keel. Mit tieferen Belegungszahlen versuche man, das Virus aus den Gefängnissen fernzuhalten. Das sei bisher gut gelungen. Es habe nur wenige Ansteckungen gegeben.
Nur gut 85 Prozent der 7397 Haftplätze in der Schweiz waren Ende Januar belegt – der tiefste Wert seit fast zwanzig Jahren. So viele freie Plätze in den Gefängnissen gab es zuletzt 2003.
Mit der Anzahl der verfügbaren Plätze hat der Rückgang bei den Insassen nichts zu tun – im Gegenteil: Obwohl die Zahl der Justizvollzugseinrichtungen seit Jahren zurückgeht, hat ihre Gesamtkapazität zugenommen. 1995 gab es 164 Gefängnisse mit 6190 Haftplätzen, heute sind es noch 92, die jedoch über besagte 7397 Plätze verfügen.
Damit setzt sich der Trend fort, dass kleinere Anstalten zugunsten von grösseren mit mehr Haftplätzen geschlossen werden. Am meisten Kapazität hat das Gefängnis Champ-Dollon in der Gemeinde Puplinge im Kanton Genf mit 398 Plätzen. Es dient in erster Linie der Unterbringung von Untersuchungsgefangenen. Die grösste geschlossene Justizvollzugsanstalt der Schweiz liegt in Regensdorf im Kanton Zürich: Pöschwies hat 397 Plätze.
Die Zahl der Ausbrüche aus Schweizer Gefängnissen variiert von Jahr zu Jahr erheblich. 2020 schafften zwölf Personen die Flucht. Zwei davon kamen von allein wieder zurück. Acht wurden innerhalb von einer Woche eingefangen, eine Person ging den Ordnungskräften innerhalb des Berichtsjahrs ins Netz. Nur ein Häftling konnte sich absetzen und ist untergetaucht.
Ansonsten erlebten die Vollzugsbeamten wie auch die Polizei ein vergleichsweise gutes Jahr. Zum achten Mal in Folge ging die Zahl der Straftaten in der Schweiz gemäss Kriminalstatistik zurück. Über das gesamte Jahr gesehen betrug der Rückgang gut 2 Prozent, während der ausserordentlichen Lage (Mitte März bis Mitte Juni) gar 21 Prozent, wenn man diese Periode mit den Vorjahren vergleicht. Ein Grund war der pandemiebedingte Rückgang beim Kriminaltourismus. Einbruchsdiebstähle erlebten gar einen historischen Tiefstand.
«Die Pandemie hat sicher ihren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen», sagte Mark Burkhard, Präsident der Kantonalen Polizeikommandanten. «Durch die Homeoffice-Pflicht waren die Leute viel mehr zu Hause.» Gleichzeitig habe die Durchsetzung der Corona-Massnahmen einen hohen zusätzlichen Aufwand generiert. Das wird bis auf Weiteres auch im aktuellen Jahr der Fall sein.
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