Hilfe für Indien in der Corona-KriseIn Hinterhöfen werden Tote verbrannt
Für die Kranken fehlt der Sauerstoff, für die Toten Holz zum Kremieren. In Indien wütet die zweite Pandemiewelle. Deutschland, die EU und die USA leisten nun Hilfe.
In Delhi sind nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die Krematorien überlastet. So viele Tote gilt es nach dem Hindu-Ritual zu verbrennen, dass der Rauch, der überall in der Stadt aufsteigt, zum Signal einer Tragödie gerät, die sich erst noch voll entfalten wird. Etwa 19 Millionen Menschen leben in Delhi, meist sehr dicht und laut, betriebsam und bunt gedrängt. Die Pandemie hat Indiens Hauptstadt zu einem Zentrum der Covid-19-Krise gemacht. Momentan verzeichnet Delhi die höchsten Ansteckungsquoten im Land.
So viele Tote sind in diesen Tagen verbrannt worden, dass die Stadtverwaltung Anfragen erhält, Bäume in den Stadtparks zu fällen, weil es an Brennholz für die Scheiterhaufen fehlt, wie AP berichtete. Die Agentur verbreitete Fotos, die provisorisch zu Krematorien umfunktionierte Innenhöfe mit unzähligen kleinen Scheiterhaufen zeigen. Aufgeschichtet aus Ästen, Zaunlatten und Europaletten, darüber und darunter Tote in weissen Leichensäcken. Für die Rituale, die einer Verbrennung normalerweise vorangehen, blieb oft keine Zeit.
Die Ansteckungszahlen werden noch steigen
352’991 neue Ansteckungen waren es am Montag, die Zahlen werden in den nächsten Tagen und Wochen womöglich noch steigen. Wie hoch sie wirklich sind, ist unbekannt, in den Slums der Grossstädte wird nicht getestet, viele der etwa 1,2 Milliarden Inderinnen und Inder in entlegenen Provinzen haben keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Wer in Delhi an Schnupfensymptomen leidet, geht nicht in eines der überfüllten Spitäler, wo man sich erst recht anstecken kann.
Das Problem aber sind nicht die Ansteckungsraten oder die der Toten, da ist die Schweiz viel schlechter dran, legt man die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung um. Das Problem sind die absoluten Zahlen, die Tausenden Erkrankten, die auf ein überlastetes Gesundheitssystem treffen.
Seit vergangenem Wochenende kennt die Welt die Bilder der indischen Spitäler, in denen Menschen an Beatmungsgeräten sterben, für die es keinen Sauerstoff mehr gibt. Ihre Verwandten schlafen vor den Toren in Autos, auf Matten und Pritschen, hoffend, dass sich alles zum Guten wendet, denn wer ins Spital geht, tut dies meist schon in schlechtem Zustand. Dass überall der Sauerstoff fehlt oder knapp wird, ist eines der akuten Probleme. Viele Menschen bunkern privat Sauerstoff und Medikamente, «das Horten von Remdesivir-Injektionen und Sauerstoff zu Hause löst Panik aus und verursacht eine Knappheit», wie Randeep Guleria, Lungenarzt und Vorsitzender des All India Institute of Medical Science, in einer Mitteilung des Gesundheitsministeriums am Sonntag warnte.
Covid-19-Erkrankungen, die man zu Hause behandeln könne, seien so mild, dass man weder Remdesivir noch Sauerstoff brauche. Guleria, eine anerkannte Koryphäe in Indien, war es auch, der vor über einer Woche vor der neuen Mutante des Virus warnte, die sich in Indien ausbreitet und die Impfungen unterlaufen könnte.
Aus Furcht vor der B.1.617-Mutante haben einige Länder, darunter Deutschland, ein Einreiseverbot für Personen aus Indien erlassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten bereits am Donnerstag den Flugverkehr eingestellt. Am Sonntag verkündete Bangladesh die Schliessung seiner etwa 4000 Kilometer langen Landesgrenze zu Indien; wie man das praktisch umsetzen will, blieb unklar.
Sauerstoff und Hilfsgüter
Kanzlerin Angela Merkel stellte am Sonntag noch eine Unterstützungsmission für Indien in Aussicht. Eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums sprach konkret von 23 Anlagen zur Aufbereitung von Sauerstoff und Transportunterstützung für Hilfsgüter. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen twitterte: «Die EU bündelt ihre Ressourcen, um über das EU-Katastrophenschutzverfahren schnell auf Indiens Ersuchen um Hilfe zu reagieren.» Grossbritannien, besonders mit Indien verbunden, bot Unterstützung an.
So wie Indien den USA geholfen hat, helfen die USA nun Indien.
Auch die USA wollen helfen. «So wie Indien den Vereinigten Staaten geholfen hat, als unsere Krankenhäuser überlastet waren, so sind die Vereinigten Staaten nun entschlossen, umgekehrt Indien in einer Zeit der Not zu unterstützen», sagte Emily Horn, Sprecherin des nationalen US-Sicherheitsrats, nachdem es in der Nacht auf Montag Gespräche auf höchster Ebene mit Indien gegeben hatte. Es werden nun medizinische Hilfsgüter geschickt. Und, mit am wichtigsten: Das Exportverbot für Rohmaterialien, das die USA ausgesprochen hatten, um die eigene Vakzinproduktion zu sichern, wurde aufgehoben.
Indien ist ja nicht nur das Land mit den meisten Infektionen weltweit, sondern auch grösster Vakzinhersteller. Doch der grosse «Vaccine Rollout», den die Regierung im Januar startete, stockt. Stattdessen rollt nun die zweite Covid-19-Welle durch das Land – schneller als die Impfkampagne.
Fehler gefunden?Jetzt melden.