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Keine Strategie, kein Budget
In seiner Firma machen alle, was sie wollen

Hat bereits acht Unternehmen gegründet: Jonathan Möller.
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Mit Firmengründungen kennt sich Jonathan Möller aus. Der 45-jährige Zürcher war noch nie für ein Unternehmen tätig, das er nicht selber gegründet hat. Er begann seine Unternehmerlaufbahn mit 16, als er mit seinem zwei Jahre älteren Bruder wöchentlich die Produktpreise von 40 Apple-Händlern einsammelte und auf dem Computer des Vaters eine Übersicht erstellte. Die Stadt Basel, die ETH Zürich und andere Grosskunden nutzten den Vergleichsdienst und überwiesen den Teenagern ein Viertel der Einsparungen, die sie beim Einkauf erzielten.

Später, während des Architekturstudiums, lancierte Möller seine zweite Firma, die computergestützte Zeichnungen in der Architektur ermöglichte. Und am Ende des Studiums gelang ihm mit Smartmedia ein Wurf im E-Business. Die Firma entwickelte sich so gut, dass Möller sie im Jahr 2000 für 24 Millionen Franken einer Schweizer Bank hätte verkaufen können. Doch der damals 25-Jährige lehnte das Angebot ab und ist heute einer der grössten Aktionäre der aus Smartmedia hervorgegangenen Digitalagentur Unic mit 250 Angestellten.

«Die meisten Organisationen sind von Führungskräften gesteuert, die 70 Prozent ihrer Zeit in den persönlichen Machterhalt investieren.»

Jonathan Möller

Jonathan Möller ist allerdings keiner, der sich im Erfolg sonnt. Was ihn laut eigenen Worten antreibt, ist nicht das Geld, sondern das Ziel, «ein perfektes Unternehmen» zu schaffen. Perfekt nicht für Aktionäre oder Kunden, sondern zuallererst für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So gründete Möller vor zehn Jahren seine achte Firma und gab ihr den sperrigen Namen Foryouandyourcustomers. Die Firma, die Digitalisierungslösungen erarbeitet, sei «komplett auf die Mitarbeiter ausgerichtet», sagt Möller. Die «Entwicklung von Menschen» sei ausdrücklich als Zweck im Handelsregistereintrag festgehalten.

Zwar sei in vielen Unternehmensleiterbildern irgendwo der Satz gedruckt, der Mensch stehe im Mittelpunkt, so Möller. «Doch die meisten Organisationen sind von Führungskräften gesteuert, die 70 Prozent ihrer Zeit in den persönlichen Machterhalt investieren». Das sei weder im Sinne der Kunden noch gut für die Entwicklung der Angestellten.

Möller hat dieser Gefahr entgegengewirkt, indem er nie für längere Zeit die Chefrolle übernommen hat in den von ihm gegründeten Firmen. Bei Foryouandyourcustomers setzt er zusätzlich auf eine dezentrale Struktur. Die 169 Angestellten sind auf 14 Zellen in sechs Ländern verteilt und werden laut Möller 2020 einen Umsatz von über 30 Millionen Franken erwirtschaften, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Jede Zelle darf maximal 25 Angestellte beschäftigen und wirtschaftet auf eigene Rechnung. Neue Standorte werden dann eröffnet, wenn Mitarbeiter die Initiative ergreifen. Im letzten Jahr zum Beispiel hat Möller mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern in Australien gelebt und dort eine neue Zelle eröffnet.

Geplant war das so wenig wie die Niederlassung in Sofia, die lanciert wurde, weil eine Mitarbeiterin aus Holland wegen Liebeskummers in ihr Heimatland Bulgarien zurückkehren wollte.

«Es gibt in unserer Firma keine Strategie, keinen Leistungskatalog, keine Zielvereinbarungen und keine Mehrjahresplanung», sagt Möller. «Aber die Chefs unterstützen die Mitarbeitenden in ihrer Entwicklung.» Er vertraue darauf, dass die Angestellten so mündig seien, selber zu wissen, was sie gerne und gut tun – und dass diese Freiheit auf ihre Leistung und die Kundenzufriedenheit abfärbe.

Geistiger Vater dieser Unternehmensstruktur ist der frühere ABB-Manager und Unternehmensberater Robert Josef Stadler, heute VR-Präsident bei Foryouandyourcustomers. Stadler sagt, die Firma sei auch deshalb so erfolgreich unterwegs, weil sich viele Hochqualifizierte bewerben, die sich in hierarchischen Strukturen aufgerieben oder als «nicht führbar» erwiesen hätten. «Bei uns können diese Menschen ihre Talente sehr direkt einbringen. Dadurch, dass Mitarbeiter vorwiegend auf ihren Stärken arbeiten, sind wir oft 30 Prozent günstiger als die Konkurrenz oder liefern ein besonders gutes Ergebnis.» Aufträge, für die sich niemand begeistern kann, werden nicht angenommen.

Funktioniert das auch in Grossunternehmen?

Über sich selber sagt Jonathan Möller: «Ich mache wirklich nur noch, was mir Spass macht und mich in meiner Weiterentwicklung herausfordert, und erwarte das von allen Mitarbeitern.» Derzeit schreibt er an seinem zweiten Buch, doziert an der HSG zum Thema Digitalisierung und baut eine Schulungs-Academy auf. Sein vielleicht wichtigster Antrieb ist, «zu beweisen, dass unsere Organisationsform auch mit 2000 oder 3000 Angestellten gut funktioniert». Wenn man die Macht gut verteile, alle Firmendaten transparent mache und akzeptiere, dass Kontrolle eine Illusion sei, werde die Grösse nicht zur Hypothek. Dann könne jeder Angestellte wie ein Unternehmer agieren, vom grossen Netzwerk profitieren und das lokal Sinnvolle tun, statt irgendwelchen Zielen nachzurennen, die andere vorgegeben haben.

Was ihn in so jungen Jahren zum Unternehmer gemacht hat, kann Möller nicht genau sagen. Seine Neugier sei immer grösser gewesen als die Angst vor Rückschlägen, erinnert er sich. Und er habe schon in jungen Jahren einen guten Blick für Talente und leistungsfähige Netzwerke gehabt. Möller führt diese Stärke auf ein Handicap zurück: Er ist seit Geburt fast gehörlos. Weil er sich nicht auf Worte verlassen könne, habe er ein feines Gespür für Emotionen entwickelt. «In einem Raum mit 20 Leuten erkenne ich sehr schnell, wer glücklich ist und wer nicht, auf wen man sich verlassen kann und wer eher unbewusst unterwegs ist», sagt der 45-Jährige.

Die persönliche Reife der allermeisten Angestellten habe dazu geführt, dass die Firma Foryouandyourcustomers sehr gut durch die Corona-Krise gekommen sei und weiter wachsen könne, sagt Möller. Erstmals hält er selber die Mehrheit an einer von ihm gegründeten Firma. So könne er ausschliessen, dass das Unternehmen verkauft werde, bevor er sein Ziel erreicht habe: aller Welt zu zeigen, dass es sich auszahlt, konsequent in die freie Entwicklung der Mitarbeiter zu investieren.

Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach
und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the
Box» und Betreiber des Portals
www.beruf-berufung.ch