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Interview mit einem ukrainischen Soldaten
«Die Bomben schlagen jetzt überall ein»

Das durch einen russischen Raketenangriff zerstörte Rathaus und der verwüstete Hauptplatz von Charkiw: «Die Bomben schlagen jetzt überall ein.»
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Es ist nicht der erste Krieg für Olexandr Worobey. 2014 kämpfte der heute 40-Jährige in der Ostukraine gegen die prorussischen Separatisten. Er wurde angeschossen, von Granatsplittern getroffen, lag laut eigenen Angaben wochenlang im Spital. Später trainierte er in der ostukrainischen Grossstadt Charkiw Soldaten im Messerkampf.  Dort ist er heute noch und hat sich dem militärischen Widerstand gegen die russische Invasion angeschlossen.

In Charkiw ist Worobey eine lokale Berühmtheit. Nationale ukrainischen Medien publizierten mehrere Artikel über ihn, auch die britische BBC berichtete über den Soldaten. Diese Redaktion erreicht Worobey telefonisch über einen Messengerdienst. Er hat gerade seine Dienstschicht beendet.

Herr Worobey, wie ist die Lage in Charkiw?

Wir stehen unter permanentem russischem Bombardement. Niemand kann sich sicher fühlen, die Bomben und Raketen schlagen jetzt überall ein. Ganz egal, ob das nun militärische Ziele oder Wohnhäuser sind.

Angeblich sollen auch sehr viele Zivilisten gestorben sein.

Ich kenne keine konkreten Zahlen. Aber ich weiss: Es sterben Menschen überall in der Stadt. Die Explosionen sind wirklich enorm und furchterregend. Mit Pilzwolken wie bei Atombomben. Viele Menschen wollen Charkiw verlassen, aber sie wagen sich oft nicht aus den Schutzräumen.

Was ist Ihre Aufgabe in dieser Situation?

Ich bin in einer Freiwilligenbrigade, die dem Inlandgeheimdienst SBU angeschlossen ist. Wir sorgen einerseits für die Sicherheit in der Stadt. Anderseits kümmern wir uns um die Evakuierung von Frauen und Kindern. Wenn wir Saboteure finden, exekutieren wir sie. Ich habe jetzt 12 Stunden Dienst hinter mir. Im Moment bin ich nur müde.

Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen?

Evakuierungen finden noch statt, mit der Bahn. Die ukrainische Staatsbahn Ukrzaliznytsia stellt Züge zur Verfügung. Aber gestern konnten nur zwei Züge die Stadt verlassen, ein Zug um 14 und einer um 17 Uhr.

In so einem Zug können doch höchstens 1000 bis 1200 Menschen evakuiert werden?

Vermutlich. Jedenfalls gibt es viel mehr Menschen, welche die Stadt verlassen wollen. Daneben versuchen wir noch Autobusse zu organisieren. Aber die sind natürlich klein im Vergleich zu einem Zug. Gestern haben wir einen Bus organisiert. Der hat 40 Frauen und Kinder aus dem Gefahrengebiet gebracht. Alte Männer und Invalide waren auch dabei.

Feuerwehrleute in Charkiw bergen Tote und Verwundete nach den Raketenangriffen auf das Zentrum der Stadt: «Viele Menschen trauen sich nicht mehr aus den Kellerverstecken auf die Strasse.»

Gibt es noch genug Essen in Charkiw?

Ich fahre durch die Stadt und sehe, dass es im Zentrum noch offene Geschäfte mit Lebensmitteln gibt. Es ist also Nahrung vorhanden. Das grosse Problem ist die Verteilung. Es gibt Kellerverstecke in der Stadt, in denen Frauen mit Kindern sitzen. Ohne Nahrung. Sie trauen sich nicht mehr aus dem Versteck hinaus auf die Strasse, und niemand kommt zu ihnen.

Strom gibt es ohne Unterbrechung?

Ja. Die Stromleitungen sind noch intakt.

Sind russische Spezialeinheiten schon in der Stadt?

Sie waren hier, aber wir konnten sie zurückdrängen. Eine Soldatengruppe setzte sich in einer Schule fest und wurde von uns umgebracht. Wenn wir hören, dass kleinere Einheiten des Gegners in die Stadt eindringen, dann sind wir zur Stelle.

Charkiw liegt nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, und die Einwohner galten immer als sehr russlandfreundlich. Ist das immer noch so?

In Charkiw hassen jetzt alle die Russen. Selbst jene, die sich zuvor eher als Russen fühlten und auf eine Vereinigung der Ukraine mit dem grossen Nachbarn gehofft haben. Auch sie sind jetzt voller Hass auf den Aggressor. Wenn wir in unseren ukrainischen Uniformen durch die Stadt fahren, dann bieten uns alle Essen an, wünschen uns Erfolg und beten für den Sieg. Charkiw war noch nie so geeint wie jetzt: Maximal positiv gegenüber der ukrainischen Armee. Maximal negativ gegenüber Russland.

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