Meningokokken B und RotavirenZwei neue Impfungen für Kleinkinder – ist das nicht irgendwann zu viel?
Mit den neuen Impfungen gegen Meningokokken B und Rotaviren sollen Kleinkinder nun gegen 13 Krankheiten immunisiert werden. Bei manchen Eltern wirft das Fragen auf. Was Fachleute dazu sagen.
Wenn sich die kugelförmigen Meningokokken erst einmal in den Kinderkörpern ausbreiten, kann innerhalb von Stunden ein Leben ausgelöscht oder für immer verändert werden. Etwa acht Prozent der Menschen, die sich eine invasive Infektion mit Meningokokken B zuziehen, sterben – darunter überproportional viele kleine Kinder. Andere tragen bleibende Folgen wie amputierte Gliedmassen, Taubheit oder kognitive Einschränkungen davon. Die Krankheit ist selten, aber grausam.
Daher empfehlen das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) nun die Immunisierung gegen die Meningokokken B. Das Vakzin schützt etwa 70 bis 80 Prozent besser vor der Erkrankung als ein Placebo. Hinzu kommt neu die Empfehlung für eine Schluckimpfung gegen Rotaviren, Durchfallerreger.
Aber die neuesten Einträge in den Impfkalender heissen eben auch: noch drei weitere Pikse in den Oberschenkel der Kleinsten. So sind es dann 13 Krankheiten, gegen die allein in den ersten 15 Lebensmonaten geimpft wird. Und es gibt Eltern, die fragen: Ist das nicht irgendwann zu viel?
Weniger Spritzen, mehr Impfungen
Die Frage beschäftigt auch Fachleute. Denn man weiss, dass mit der Zahl der Impfungen vor allem zwei Dinge zunehmen: der Aufwand für die Familien und die Skepsis einiger Eltern. Beide können die Impfbereitschaft beeinflussen. Die Lösung sind kombinierte Impfstoffe.
«Der Vorteil ist, dass die Kinder weniger durch Impfspritzen gestochen werden», sagt Christoph Berger von der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (Ekif). «Der Körper kann problemlos eine gute Immunantwort gegen alle Komponenten von Kombinationsimpfstoffen aufbauen, und die Nebenwirkungen sind nicht wesentlich anders, als wenn man einzeln impfen würde», sagt Berger.
Ein kleiner Unterschied sei bei der seit 2023 erhältlichen Vierfachimpfung gegen Mumps, Masern, Röteln und Windpocken beschrieben worden: Die Kinder reagieren nach der ersten Dosis der Vierfachimpfung eher mit Fieber, als wenn sie den Dreifachimpfstoff (MMR) und die Windpockenimpfung separat bekommen.
Auch Rüdiger von Kries von der deutschen Ständigen Impfkommission (Stiko) befürwortet die Kombinationsimpfungen: «Die Impfakzeptanz wird immer dann grösser, wenn weniger Spritzen gegeben werden. Dazu gibt es gute Daten.» So haben von Kries und Kollegen mithilfe von Befragungen ermittelt, wie sich die Impfquoten entwickelten, als um die Jahrtausendwende einzelne Impfungen zu Vier-, Fünf- und Sechsfachimmunisierungen zusammengelegt wurden.
Es zeigte sich: Je mehr Vakzine in einer Spritze kombiniert wurden, desto höher stieg die Zahl der vollständig geimpften Kinder. Das ergab die im Fachblatt «The Pediatric Infectious Disease Journal» veröffentlichte Arbeit. Nachdem etwa das Vakzin gegen die Kinderlähmung Teil einer Sechsfachimpfung geworden war, verdoppelte sich die Quote der vollständigen Polio-Impfungen – verglichen mit der Ära, als das Vakzin noch einzeln verabreicht wurde.
«Die kombinierte Verwendung von Impfstoffen hat sich bewährt», sagt Andrea Ammon, Direktorin der europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC: «Sie basiert auf wissenschaftlichen Studien zu deren Nutzen und Sicherheit.» Doch es gibt eben Eltern, die daran zweifeln. «Studien zu Einstellungen, Wissen und Wahrnehmungen in Bezug auf Kinderimpfstoffe haben in der Tat die Besorgnis über ‹zu viele Impfstoffe› als eines von mehreren Bedenken der Eltern identifiziert. Diese Sorge kann die Bereitschaft beeinflussen, Kinder impfen zu lassen», sagt Ammon und ergänzt: «Aus einigen dieser Studien geht jedoch hervor, dass diese Besorgnis nicht so häufig geäussert wird wie andere Bedenken.»
Schweiz impft nicht besonders viel
Das zeigt auch ein Überblicksartikel aus dem Jahr 2017, der 145 Studien zur Wahrnehmung von Impfungen in Europa zusammenfasst. Nur eine Handvoll dieser Studien identifizierte ein Zuviel an Impfungen als eine ernste Befürchtung. Am häufigsten sorgten sich Menschen über die allgemeine Sicherheit der Vakzine. Auch die Wahrnehmung, dass das Risiko mancher Krankheiten gering und damit die Impfung nicht wert sei, war weitverbreitet.
Ein Mittel gegen diese Befürchtungen ist zielgerichtete Aufklärung. Gerade gegen die Sorge vor zu vielen Impfungen sprechen gute Argumente. So legten der US-Impfexperte Paul Offit und Kollegen schon vor mehr als 20 Jahren im Fachblatt «Pediatrics» eine Menge Fakten gegen die Annahme vor, das Immunsystem könnte durch zu viele Impfungen überwältigt oder geschwächt werden. So sank zum Beispiel die Zahl der verabreichten Antigene – also der verimpften Bestandteile des Erregers – deutlich, auch wenn im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer mehr Impfungen in den Kalender kamen. Noch in den 1980er-Jahren wurde ein Keuchhustenimpfstoff verwendet, der etwa 3000 Proteine enthielt. Alle heutigen Vakzine zusammengenommen bringen es – dank besserer Technologien – nur auf ungefähr 160 verschiedene Proteine und Vielfachzucker.
Und diese Zahl ist verschwindend klein, wenn man nur schon die enorme Menge an Bakterien betrachtet, die den Babykörper nach der Geburt besiedeln. Es sind Billionen Bakterien – jedes mit mehreren Tausend Antigenen. Und doch kann das Immunsystem gesunder Kinder dies spielend bewältigen. «Eine Wunde am Knie ist eine grössere Herausforderung für das Immunsystem als Impfungen», sagt Offit in einem jüngeren Video. Seine Antwort auf die Frage, ob Babys so viele Impfstoffe in den ersten Lebensjahren tolerieren können, ist ein klares Ja. Denn die Kleinen begegnen in ihrer täglichen Umgebung viel mehr fremden Stoffen, als sie in ihrem gesamten Leben durch Impfstoffe erhalten werden.
Im Übrigen ist es auch nicht so, dass die Schweiz besonders viel impfen würde. Die Meningokokken-B-Impfung wird zwar nicht überall empfohlen. Sie ist momentan nur in zwölf von 30 Ländern, die das ECDC in seiner europäischen Impfdatenbank auflistet, Standard. Doch insgesamt liegt die Schweiz mit den aktuell 13 empfohlenen Kinderimpfungen eher im Mittelfeld, in Portugal sind es 12 Impfungen. Dänemark hingegen rät in den ersten 15 Monaten nur zu 10 Impfungen. In Italien und Spanien sind dagegen je 16 Impfungen Standard, in Österreich sogar 17.
Mitarbeit: Anke Fossgreen
Fehler gefunden?Jetzt melden.