Im Visier der Jäger
Das Parlament will das Schiessen geschützter Tiere wie Wölfen erleichtern. Würden die Tiere darunter leiden?
Eine Allianz von fünf Umweltorganisationen will, dass das Stimmvolk über das neue Jagdgesetz entscheidet. Dieses sei «völlig missraten», sagte Urs Leugger-Eggimann, Zentralsekretär von Pro Natura, gestern in Bern an einer Medienkonferenz zum Start des Referendums. Am umstrittensten war im Parlament die Lockerung des Wolfsschutzes. Nachteile drohten aber auch anderen Tieren mit einem «massiven Rückschritt im Artenschutz insgesamt» (siehe Beispiele).
Das Parlament habe zu viele rote Linien verletzt, obwohl mehr Artenschutz gefragt wäre. «Der Zustand der Biodiversität ist schlecht», sagte Océane Dayer vom WWF. Besonders in der Schweiz: «Ein Drittel aller Arten ist bedroht, weitere zehn Prozent gelten als potenziell bedroht.» Das sei der schlechteste Wert aller OECD-Länder.
Vorbildfunktion der Schweiz
Neu zur Allianz gesellt hat sich Zooschweiz, die Dachorganisation von neun Schweizer Zoos. Sie geben jährlich 26 Millionen Franken für Schutzprojekte im Ausland aus, ein Vielfaches der 120'000 Franken Schaden, die Wölfe hierzulande verursachen, sagte Präsidentin Anna Baumann. Schweizer Zoos unterstützen etwa den Schutz von Elefanten in Thailand und Jaguaren in Belize. Das Zusammenleben sei schwierig: Elefanten verwüsten Felder, manchmal kommen Menschen zu Tode. «Wo ist unsere Vorbildfunktion, wenn es um das Zusammenleben mit konfliktträchtigen Wildtieren vor der eigenen Haustür geht?», fragte Baumann.
Unterstützt wird das Referendum auch vom Schweizer Tierschutz, dem Schweizer Forstverein, der SP und der Grünen sowie der Grünliberalen Partei. Die Frist für die Sammlung der 50'000 Unterschriften läuft am 16. Januar 2020 ab, die Abstimmung dürfte im Herbst 2020 stattfinden.
Mehr Rechte für Kantone
Die Befürworter des Jagdgesetzes haben sich noch nicht formiert. Dazu zählen der Dachverband der Jäger, der Schweizerische Bauernverband und die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. Im Parlament hatten sich CVP, SVP und FDP grossmehrheitlich für das neue Gesetz ausgesprochen, als es am 27. September beschlossen wurde.
Bundesrat und Parlamentsmehrheit sehen in dem Gesetz einen Kompromiss. In Zukunft könnte jeder Kanton selbstständig den Abschuss von Wölfen beschliessen, wenn die Population nicht gefährdet wird und damit Schäden verhindert oder die Bestände an anderen Wildtieren geschützt werden können.
Anders als heute wäre die Zustimmung des Bundes nicht mehr nötig; dieser hätte allerdings eine Beschwerdemöglichkeit. Für weitere geschützte Tierarten könnte der Bundesrat auf dem Verordnungsweg dieselben Regeln einführen; zur Diskussion stehen vor allem Luchs und Biber.
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Der Wolf kriegt seinen Erfolg zu spüren
Bestand: Vor 20 Jahren sind Wölfe in die Schweiz zurückgekehrt. Inzwischen halten sich rund 60 Wölfe regelmässig hier auf, in acht Rudeln, als Paare oder als Einzeltiere.
Konfliktpotenzial: Wölfe reissen Nutztiere wie Schafe, vereinzelt in geschützten Herden. 2018 zahlte der Bund Kompensationen für 492 Tiere.
Heutiger Schutz: Die Kantone können einzelne Wölfe, die erheblichen Schaden anrichten, zum Abschuss freigeben, wenn ein Herdenschutz besteht. Sie können mit Zustimmung des Bundes nach grossen Schäden oder einer Gefährdung bis zur Hälfte der Jungwölfe eines Rudels töten lassen. Derzeit ist der Abschuss von vier Jungwölfen in Graubünden bewilligt. Der Bund zahlt für alle gerissenen Nutztiere.
Künftiger Schutz: Für Einzelwölfe ändert sich nichts. In Rudeln können Kantone bis zur Hälfte der Jungwölfe von September bis Januar abschiessen lassen. Voraussetzung ist, dass Schaden oder eine konkrete Gefährdung droht oder der Bestand anderer Wildtiere gefährdet ist. Laut Umweltverbänden spielt es keine Rolle mehr, ob Herden geschützt sind, eine Dezimierung wäre immer zu rechtfertigen, der Wolf werde faktisch für jagdbar erklärt. Laut Bundesamt für Umwelt hingegen sind Abschüsse aus dem Rudel weiterhin nur erlaubt, wenn Schutzmassnahmen allein nicht ausreichen. Die Schadens- oder Gefährdungsschwelle sei aber nicht mehr explizit bemessen. Die Kantone müssen den Bund vor Abschussentscheiden anhören, Bund und Schutzorganisationen haben zudem weiterhin ein Beschwerderecht. Der Bund zahlt neu nur noch für gerissene Nutztiere aus geschützten Herden.
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Die Tafelente wird besser geschützt
Bestand: häufiger Wintergast und Durchzügler
Heutiger Schutz: Jagdbare Art wie insgesamt 15 Wildenten-Arten. 2018 wurden 60 Tafelenten geschossen.
Künftiger Schutz: Nur Krickente, Reiherente und Stockente dürfen gejagt werden, von September bis Januar. Die zwölf anderen Wildenten-Arten werden geschützt. Für eine Vertreterin einer anderen Vogelfamilie, die Waldschnepfe, verlängert das Jagdgesetz die Schonzeit um einen Monat. Die Vogelschutzorganisation Birdlife macht beim Referendum trotzdem mit. Sie führt ins Feld, 2018 seien 4729 Enten geschossen worden, nur 2,2 Prozent davon gehörten zu jenen Arten, die neu unter Schutz gestellt werden sollen. Die negativen Änderungen im Gesetz würden die Vorteile für die Wildenten überwiegen.
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Der Luchs muss zittern
Bestand: rund 220 erwachsene Tiere
Konfliktpotenzial: Luchse reissen selten Nutztiere. Einige Jäger machen geltend, wegen der Luchse gebe es zu wenig Gämsen.
Heutiger Schutz: Kantone können Einzeltiere unter strengen Bedingungen abschiessen.
Künftiger Schutz: Die Schutzverbände warnen: Der Bundesrat erhalte die Möglichkeit, den Luchs per Verordnung wie den Wolf zu behandeln, ohne Mitbestimmung von Parlament und Volk. Dasselbe gelte für Biber, Fischotter, Bär und weitere Tiere, die Jäger ins Visier nähmen. In der Tat hatte der Bundesrat Luchs und Biber zur Diskussion gestellt, das Parlament verzichtete aber. Doch neu ist die Kompetenz des Bundesrats nicht. Genutzt hat er sie nur beim Steinbock, dessen Bestand mit Auflagen reguliert werden darf.
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Der Schneehase muss auf der Hut sein
Bestand: geschätzte 14'000 Tiere
Heutiger Schutz: Schneehasen dürfen von Oktober bis Dezember gejagt werden. Im vergangenen Jahr erlegten Jäger in der Schweiz 976 Schneehasen, mehr als drei Viertel davon im Kanton Graubünden.
Künftiger Schutz: Das Jagdgesetz bringt für den Schneehasen keine Veränderung. Das kritisieren Umweltorganisationen. Sie machen geltend, der Schneehase sei ein Verlierer des Klimawandels, sein Lebensraum dürfte im nächsten Jahrhundert um zwei Drittel schrumpfen. Schon heute leide der Schneehase unter der Zerstückelung seiner Lebensräume und Störungen durch den Tourismus. Deshalb wäre es aus Sicht der Umweltorganisationen angebracht, den Schneehasen unter Schutz zu stellen, ebenso den Feldhasen.
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