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Mehrheit will Schweizer Wölfe leben lassen

Sollen Wölfe geschossen werden dürfen? Foto: Keystone
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Sollen in Zukunft Wölfe geschossen werden dürfen, auch wenn die Bauern ihre Schafherde nicht schützen? 79 Prozent sagen Nein oder eher Nein. Sollen geschützte Tierarten abgeschossen werden dürfen, auch wenn diese noch keinen Schaden verursacht haben? 92 Prozent wollen das nicht oder eher nicht. Sollen die Kantone künftig ohne den Bund entscheiden dürfen, welche geschützten Tiere vereinfacht abgeschossen werden dürfen? 73 Prozent sprechen sich dagegen oder eher dagegen aus.

Die komfortablen Mehrheiten sind das Ergebnis einer noch unveröffentlichten repräsentativen Umfrage von Pro Natura. Das Meinungsforschungsinstitut GFS Zürich hat im Auftrag der Umweltorganisation zwischen dem 13. Mai und 3. Juni total 1006 erwachsene Personen in der Deutsch- und Westschweiz befragt; der Stichprobenfehler beträgt plus/minus 3,2 Prozent.

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Die Parlamentarier in Bern dürfte die neue Umfrage interessieren, arbeiten sie doch an einer Revision des Jagd- und Schutzgesetzes. Indes, solches Pulsmessen in der Bevölkerung ist stets mit Vorsicht zu geniessen. Gerade erst im Februar hat die Urner Stimmbevölkerung die kantonale Volksinitiative «Zur Regulierung von Grossraubtieren» mit 70 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen – es war nicht zuletzt eine Unmutsbekundung gegenüber der Tatsache, dass es den Wolf in der Schweiz wieder gibt und die Bevölkerung sich bis zu einem bestimmten Mass anpassen muss.

Fragestellung ist entscheidend

Hinzu kommt: Nuancen in der Fragestellung können unter Umständen grosse Unterschiede in den Antworten produzieren. Darauf weisen nun Befürworter der Gesetzesrevision hin, welche diese Zeitung mit dem Umfrageresultat konfrontiert hat. Sie kritisieren, die gestellten Fragen gäben teils ein falsches Bild von der Revision wieder. So etwa entfalle der Herdenschutz mit dem neuen Gesetz nicht, wie dies in der Umfrage suggeriert werde. Im Gegenteil, der Herdenschutz werde gar gestärkt, indem in Zukunft Tierhalter nur noch ein Schaden bezahlt erhalten würden, wenn sie zuvor die zumutbaren Herdenschutzmassnahmen ergriffen hätten.

Urs Leugger-Eggimann, Zentralsekretär von Pro Natura, entgegnet, es entspreche einer schon lange geforderten Selbstverständlichkeit, dass Schäden nur dann vergütet würden, wenn vorher nachweislich Schutzmassnahmen ergriffen worden seien. Inakzeptabel sei jedoch, dass zukünftig geschützte Tierarten reguliert werden sollen, ohne dass vorgängig mittels Schutzmassnahmen möglicher Schaden verhindert worden wäre. Denn damit könnten geschützte Tierarten quasi auf Vorrat geschossen werden.

Damit könnten geschützte Tierarten quasi auf Vorrat geschossen werden.

Die Kritiker stören sich zudem an der Frage zur Rolle der Kantone. Diese könnten auch in Zukunft nicht ohne den Bund über den Abschuss von Wölfen entscheiden, sie müssten zuvor den Bund fragen und in der Folge eine beschwerdefähige Verfügung erlassen, gegen die der Bund und die Umweltverbände einsprechen könnten.

Leugger-Eggimann dagegen argumentiert, dass die Kompetenzverschiebung zu den Kantonen verfassungswidrig wäre und die Schweiz damit ihre internationale Verantwortung zum Schutz gefährdeter Tierarten untergraben würde. Mit der heute geltenden Bewilligungspflicht könne der Bund die Regulierung koordinieren. Falle diese weg, so verunmögliche dies den Schutz seltener Arten über Kantons- und Landesgrenzen hinweg.

Einigungskonferenz nötig

Der skizzierte Zwist um die Umfrage ist ein weiteres Kapitel einer vertrackten Geschichte – einer Geschichte, die heute Donnerstagmorgen um eine weitere Episode reicher geworden ist. Der Nationalrat hat sich ein weiteres Mal mit dem Jagd- und Schutzgesetz befasst. Es war der Versuch, die verbliebenen Differenzen zum Ständerat zu bereinigen. Zwar hat die grosse Kammer wie zuvor schon der Ständerat beschlossen, dass Wölfe auch in Jagdbanngebieten abgeschossen werden dürfen. Trotzdem bleiben Differenzen, und zwar bei Regulierung von geschützten Tierarten im Allgemeinen. Damit kommt es nächste Woche zur Einigungskonferenz.

Es ist kein Zufall, dass die Geburtswehen dieser Vorlage derart heftig sind. Seit mehr als zehn Jahren brütet das Parlament über der Frage, ob eine Koexistenz von Mensch und Wolf in der Schweiz erwünscht ist und, falls ja, unter welchen Bedingungen. Es war Ständerat Stefan Engler, der 2014 mit einer Motion die Grundlage schaffen wollte, um die Wolfsbestände in Zukunft regulieren zu können, bevor grosse Konflikte entstehen. Aus dem Vorstoss des Bündner CVP-Politikers ist in der Folge eine reich befrachtete Revision des Jagd- und Schutzgesetzes entstanden – eine Vorlage, die nach dem Dafürhalten der Umweltverbände den bislang ausgewogenen Kompromiss zwischen Jagd, Schutz und fallweiser Regulierung geschützter Arten zerstört hat.

Referendum ist sicher

Die Revision sieht nicht nur die Regulierung des Steinbocks und des Wolfs vor, sondern auch des Höckerschwans. Künftig soll es für die Jagdbehörden einfacher werden, bestimmte geschützte Tiere, die Konflikte verursachen, abzuschiessen oder deren Bestandesentwicklung zu bremsen. Ein Beispiel: Bundesrat und Parlament wollen einige Jungwölfe aus Wolfsrudeln abschiessen, bevor grosser Schaden entsteht. Umweltverbände sprechen deshalb von «Abschüssen auf Vorrat», die das Überleben bedrohter Arten gefährden würden. Die Befürworter der Gesetzesrevision entgegnen, weder Steinbock noch Wolf noch Höckerschwan seien bedroht. Im Gegenteil, sie nähmen als Kulturfolger derart rasch zu, dass grosse Konflikte unausweichlich seien.

Die Einigungskonferenz von nächster Woche ist das vorderhand letzte Kapitel in der Geschichte um den Wolfsschutz. Scheitert sie, ist die Revision vom Tisch. Finden sich die beiden Parlamentskammern doch noch, ist für die Umweltverbände klar: Sie werden gegen die Gesetzesrevision das Referendum ergreifen. Damit hätte das Stimmvolk das letzte Wort.