Party trotz Corona in Brasilien«Ich fühle mich grossartig darin, diese Menschen anzuprangern»
In Brasilien feiern jeden Tag Hunderte Menschen Feste trotz katastrophaler Corona-Zahlen. Die Bolsonaro-Regierung schaut zu und verharmlost. Ein 25-Jähriger hat jetzt genug – und stellt die Partygänger bloss.
Feiern, als gäbe es keine Pandemie. Für viele Menschen in Brasilien ist das selbstverständlich. Das zeigt ein 25-jähriger Journalist aus der brasilianischen Grossstadt Curitiba. Auf seinem Twitter-Account «Brazil Covidfest» sammelt er Videos von Konzerten und Partys, in denen Personen eng an eng feiern und tanzen. Dazu veröffentlicht er Kommentare wie: «Wir versagen als Gesellschaft» oder «unheimliche Aufnahmen».
Spitäler am Limit
Die Corona-Lage in Brasilien erlaubt eigentlich keine grossen Menschenansammlungen, bei denen sich das Virus leicht verbreiten kann. Über 8,3 Millionen Menschen haben sich bereits infiziert, mehr als 207’000 Menschen sind am Lungenerreger gestorben. Wahrscheinlich sind die tatsächlichen Zahlen noch viel höher, die Behörden führen kaum Tests durch. In mehreren Städten, etwa in Manaus oder in Rio de Janeiro, stossen die Spitäler an ihre Kapazitätsgrenzen.
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Am 30. Dezember hatte der Journalist genug. Er veröffentlichte seinen ersten Tweet, seither sind über 1500 Beiträge dazugekommen. Manche Menschen schicken ihm Videos, manche lädt er direkt von Konten der Partygänger herunter, die Videos aus Clubs auf sozialen Netzwerken teilen.
«Sie setzen das Leben anderer aufs Spiel»
Aus Sicherheitsgründen will der Betreiber des Accounts anonym bleiben, wir nennen ihn hier Pedro. Ob er ein schlechtes Gewissen hat, weil er ungefragt Videos verbreitet, verneint er. «Ich fühle mich grossartig darin, diese Menschen anzuprangern», sagt er im Gespräch. «Sie setzen das Leben anderer aufs Spiel.»
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Und so sammelt Pedro Videos: Ob ein Konzert in einem Festzelt im Bundesstaat Parà, eine Technoparty in einem Club in Rio de Janeiro oder eine Party auf dem Schiff im Atlantischen Ozean: Überall sind Hunderte Menschen eng beieinander. Sie tanzen, lärmen, feiern – ohne Schutzmasken. Die Gefahr, dass diese Feste zu Superspreader-Events werden, ist gross.
Ganz legale Superspreader-Events
An einer grossen Party im Bundesstaat Santa Catarina war sich der Veranstalter wohl bewusst, welches Risiko er eingeht. Die Partygäste mussten ihre Handys am Eingang abgeben. Trotzdem gelangte «Covidfest Brazil» an die Aufnahmen. Jetzt ermitteln die Behörden gegen den Veranstalter. Allerdings sind nicht alle Feste verboten. Mancherorts feiern Hunderte mit dem Segen der lokalen Behörden.
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Ob erlaubt oder nicht: Ohne jegliche Schutzmassnahmen auf dem Höhepunkt der Pandemie zu feiern, sei unverantwortlich, sagt Pedro. Er hoffe, er könne das Bewusstsein der Menschen schärfen und die Behörden alarmieren. «Meine Arbeit ist der Versuch, Leben zu retten.»
Bars und Restaurants sind voll
Leben retten. Das wäre eigentlich nicht die Aufgabe eines jungen Internetaktivisten, sondern die des Staatschefs. Und genau das ist in Brasilien das Problem. Präsident Jair Bolsonaro bezeichnete Corona einst als «kleine Grippe». Obwohl er sich im vergangenen Jahr selbst mit dem Virus angesteckt hat, trägt er selten eine Schutzmaske und macht sich über Maskenträger lustig.
Es ist zu einem grossen Teil Bolsonaros Schuld, dass viele Menschen die Pandemie nicht so ernst nehmen, wie sie es müssten: An manchen Orten sind die Strände voll, ebenso Restaurants und Bars. Kaum jemand hält Abstand oder trägt eine Schutzmaske. Viele fahren in vollen Bussen und Metros zur Arbeit.
Bolsonaro und der Kaiman
Zuletzt hat sich Bolsonaro auch als Präsident der Impfgegner hervorgetan. Er hat selber wiederholt gesagt, er werde sich nicht impfen lassen. So warnte er die Bevölkerung vor dem Corona-Impfstoff, der von Biontech und Pfizer hergestellt wird und auch in der Schweiz zum Einsatz kommt. «Wenn du dich in einen Kaiman verwandelst, ist es dein Problem», sagte Bolsonaro bei einer Veranstaltung. Natürlich meinte der Rechtspopulist das nicht ernst. Aber ist eine Pandemie der Moment, in der ein Staatschef Impf-Witze erzählen sollte?
So ist es keine Überraschung, dass Brasilien im internationalen Impfwettrennen weit hinterherläuft. Die Regierung setzt auf das Vakzin von AstraZeneca und den chinesischen Impfstoff Coronavac. Noch sind diese aber nicht zugelassen. Gesundheitsminister Eduardo Pazuello kündigte gestern an, nächste Woche mit dem Impfen zu beginnen. Andere Länder in der Region sind bedeutend schneller: Mexiko, Chile, Costa Rica oder Argentinien haben bereits mit ihrem Impfprogramm begonnen.
«Botschafter von Covid-19»
Pedro ist angesichts der Situation zunehmend verzweifelt. Das Führungsversagen auf höchster Ebene sei verheerend. Jair Bolsonaro sei der «Botschafter von Covid-19» und die Situation «die Hölle». Es kann aber noch schlimmer kommen. Pedro befürchtet grosse Menschenansammlungen im Februar. Zwar ist der Karneval in Rio, an dem in normalen Jahren Millionen zusammen feiern, abgesagt. Aber wer weiss schon, ob sich alle daran halten werden. «Viele Menschen leben in einer Parallelwelt», sagt Pedro. Viele werden tanzen. Und viele werden sterben.
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