Hyperinflation schwächt LiraDie Türken kaufen heute ein, denn morgen ist schon alles teurer
Die höchste Banknote ist kaum mehr als 4.50 Franken wert. Eindrücke aus einem Land, in dem sich die Preise fast täglich ändern.

- Die türkische Lira hat massiv an Wert verloren in zwanzig Jahren.
- Die Inflationsrate lag im Oktober bei offiziell 48,6 Prozent.
- Konsum gilt als beste Geldanlage wegen ständiger Preiserhöhungen.
- Mindestlohn reicht kaum für eine Durchschnittsmiete in Istanbul aus.
In der Türkei haben sich manche, Ältere meistens, nie daran gewöhnt, dass ihre Währung Lira heisst. Sie sagen «Milyon», was nicht schwer zu übersetzen ist, eine Million. Das kommt daher, dass Recep Tayyip Erdogan vor zwanzig Jahren beschloss, die Lira durch die neue Lira abzulösen und bei den Preisen sechs Nullen zu streichen. Aus einer Million Lira wurden eine neue Lira. Stabile Verhältnisse versprach Erdogan, ein paar Jahre lang hielt er das Versprechen. Die türkische Wirtschaft boomte. Die neue Lira hielt sich im Wert. Jedenfalls einigermassen.
Der Mann, der das Land regiert, ist derselbe geblieben. Noch immer ist die höchste Banknote der 200-Lira-Schein. Nur was man dafür bekommt, hat sich ein kleines bisschen verändert. Wer den Schein damals, vor zwei Jahrzehnten, in einer Wechselstube auf den Tisch legte, bekam knapp über 90 Franken. Und heute? 5 Franken und 10 Rappen.
Zwanzig Jahre nach der Währungsreform ist die türkische Wirtschaft weit entfernt von den guten Zeiten von damals. Im Oktober meldete die Zentralbank die aktuelle Inflationsrate, sie betrug 48,6 Prozent. Eine gute Nachricht, so niedrig war die Rate schon lange nicht mehr. Wobei unabhängige Ökonomen sie auf knapp 90 Prozent schätzen, und gemäss der gefühlten Wahrheit könnten sie richtig liegen.
Die Regel, wie man in der Türkei schätzt, was etwas kosten wird, geht so: ungefähr doppelt so viel wie vor einem Jahr. Auch wenn sich die Lira stabilisiert hat – die Inflationsprognose für kommendes Jahr hat die Zentralbank gerade nach oben korrigiert. Endlich mehr Realismus, fanden Finanzanalysten.
Die beste Geldanlage? Konsum, sofort
Der kann in diesem Land nicht schaden, die Inflation nämlich führt zu ständigen Möglichkeiten des Profits und des Verlusts, die man als Mensch, der an den Schweizer Franken gewöhnt ist, nicht gekannt hat. Soll man das Ikea-Regal kaufen? Jedenfalls wird es bald teurer sein, vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche. Die beste Geldanlage? Konsum, sofort.
Glücklich, wer vor Jahren einen Kredit bekommen hat, das Geld zahlt sich fast von allein ab. Glücklich auch der türkische Freund, der Rentenbeiträge von vor einigen Jahren nachzahlen musste, er ist Freiberufler. In Lira waren die Beiträge von 2014 fast nichts mehr wert, er fand eine neue Währung dafür: Seine Beiträge eines Jahres entsprächen, sagte er, dem aktuellen Preis von fünf oder sechs Bier in einer Istanbuler Kneipe.
Vom Mindestlohn kann man in der Türkei kaum leben
Nicht so glücklich, wer vor Jahren Geld abhob und es nie ausgab. Nicht so glücklich vor allem, und da verlassen wir die Abteilung des Skurrilen, wer vom Mindestlohn lebt. Dieser wird von Januar an von 17’000 auf 20’000 Lira erhöht, das sind derzeit etwa 510 Franken. Eine Reaktion auf die Inflation, klar, nur wird sie den Preisanstieg kaum ausgleichen. Der Mindestlohn entspricht gerade mal einer Istanbuler Durchschnittsmiete.
Hyperinflation bedeutet eben, dass Schuldner im Glück sind, zulasten der Banken. Es heisst aber auch, dass Menschen verarmen. Denn eine Milyon ist zwar noch keine Million, aber um in der Türkei gut zu leben, ist man inzwischen am besten Milyoner.
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