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Wohnen wird teurer
In Zürich wehren sich Hunderte gegen höhere Mieten – mit guten Chancen

Mieten wird teurer: Die Wohnsiedlung Hardau in Zürich.
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Plötzlich kostet die Wohnung jeden Monat 50, 100 oder gar 150 Franken mehr. In diesen Tagen haben viele Mieterinnen und Mieter unerfreuliche Post von der Verwaltung oder dem Vermieter erhalten. Da am 1. Juni infolge der teureren Hypotheken der Referenzzinssatz gestiegen ist, können die Mietpreise um bis zu 3 Prozent angehoben werden. Und weil der Vermieter die Teuerung aufschlagen darf, fällt die Erhöhung häufig noch üppiger aus.

Doch nicht immer ist das zulässig – viele Vermieter fordern nun nämlich überrissene Mietzinserhöhungen. Diesen Schluss legen Zahlen des Mieterinnen- und Mieterverbands nahe. Dieser hat einen Online-Rechner zur Verfügung gestellt, mit dem Betroffene überprüfen können, ob die angekündigte Mietzinserhöhung rechtmässig ist. Seit Anfang Monat sind mit dem Rechner 21’000 Mietpreiserhöhungen im Kanton Zürich überprüft worden. In jedem zweiten Fall gab der Rechner die Empfehlung ab, den Aufschlag anzufechten, weil er mutmasslich zu hoch ist.

«Bei mehr als fünf Prozent sollten Sie stutzig werden.»

Walter Angst, Mieterinnen- und Mieterverband

Ob dies zutrifft, hängt von individuellen Faktoren ab. Etwa der Frage, ob der Mietzins in der Vergangenheit nach unten an den Referenzzinssatz angepasst wurde. Wie viel Teuerung der Vermieter geltend machen darf, hängt ausserdem vom Datum des Vertragsabschlusses ab.

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Walter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband sagt: «Bei mehr als fünf Prozent Mietzinserhöhung sollten Sie stutzig werden. Grundsätzlich würde ich in allen Fällen ab vier Prozent empfehlen, den Aufschlag mit dem Mietzinsrechner zu überprüfen.»

Wer die Erhöhung anfechten will, muss sich an die Schlichtungsstelle des jeweiligen Bezirksgerichts wenden. Dieser kostenlosen Möglichkeit kommen Mieterinnen und Mieter nun zahlreich nach. In der Stadt Zürich sind seit Anfang Monat 555 Schlichtungsgesuche eingegangen; allein am Montag waren es deren 111, wie der Sprecher des Bezirksgerichts, Patrick Strub, sagt. Normalerweise sind es 10 bis 15 Fälle pro Monat.

Die Zürcher Schlichtungsstelle rechnet mit vielen weiteren Anfechtungen in den nächsten Wochen, weil sich viele Mieter erst noch dazu entschliessen dürften. Damit eine Vermieterin den Aufschlag per frühestmöglichem Termin am 1. Oktober einfordern kann, musste der Brief mit der Ankündigung bis zum 20. Juni bei der Mieterschaft eintreffen. Diese hat dann 30 Tage Zeit für eine Anfechtung.

Zu viel Arbeit: Gerichte hoffen auf aussergerichtliche Lösungen

Die Entwicklung betrifft nicht nur die Stadt Zürich mit ihrem überhitzten Wohnungsmarkt, wie die Nachfrage bei verschiedenen Bezirksgerichten zeigt. In Winterthur gingen bisher rund 200 Anfechtungen von Mietzinserhöhungen ein. Im Bezirk Uster, wo in den Städten Uster und Dübendorf viele Menschen in Mietverhältnissen leben, sind es derzeit 20 Schlichtungsgesuche am Tag – so viele wie normalerweise in einem Monat. Dietikon hat bisher 100 entsprechende Gesuche erhalten, im Bezirk Meilen hat sich die Zahl auf 55 mehr als verdoppelt.

Geht ein Schlichtungsgesuch ein, informiert das Gericht beide Parteien, also Mieterschaft und Vermieterschaft, brieflich über den Ablauf des Verfahrens. Das soll grundsätzlich möglichst zeitnah geschehen. «Aktuell ist es indessen so, dass dies aufgrund der hohen Eingangszahlen rund eine Woche dauern kann», sagt die Leitende Gerichtsschreiberin am Bezirksgericht Winterthur, Alexandra Ochsner.

Man erhoffe sich, dass es den Parteien gelinge, sich auf dieser Basis ausserhalb des Gerichts zu einigen, sagt Ochsner – also indem der Vermieter freiwillig und noch vor der Verhandlung einen kleineren Aufschlag verlangt. Gelingt dies nicht, wird zur Schlichtungsverhandlung vorgeladen. Das Winterthurer Bezirksgericht kann die Schlichtungstermine aufgrund der vielen Eingänge voraussichtlich frühestens auf Herbst 2023 terminieren.

«Viele Vermieter merken selbst, dass sie überbordet sind»

An der Verhandlung prüft die Schlichtungsstelle dann die Mietzinserhöhung auf Basis der eingereichten Unterlagen und kann anschliessend einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Wird dieser nicht akzeptiert, kann die Behörde eine Klagebewilligung erteilen. Die mit dem Vergleich unzufriedene Partei – das kann auch der Vermieter sein, wenn er auf den grösseren Aufschlag besteht – hat dann die Möglichkeit, den Fall vors Mietgericht zu ziehen.

Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband sagt, dass man sich in vielen Fällen schon vor dem Verhandlungstermin einig werde. «Viele Vermieter merken selbst, dass sie mit der Erhöhung überbordet sind, sobald sie Post von der Schlichtungsstelle erhalten.» Die Chancen der Mieter auf einen Erfolg stünden deshalb gut.

Es gebe aber auch Leute, die Hemmungen hätten, gegen Mietzinserhöhungen vorzugehen, weil sie ihre Wohnung auf keinen Fall verlieren möchten, sagt Angst. «Diese Befürchtungen sind unbegründet.» Keine Verwaltung werde Mieter wegen 50 Franken mehr oder weniger hinauswerfen. Zudem habe man nach einer erfolgreichen Anfechtung einen dreijährigen Kündigungsschutz.

Es gebe auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, man lande als aufmüpfiger Mieter auf einer schwarzen Liste der Verwaltung. «Ein Schlichtungsgesuch ist kein Tolggen im Reinheft», sagt Angst. Schlichtungsverfahren seien grundsätzlich einfach und unkompliziert. Eine Verhandlung könne innert 30 Minuten abgeschlossen sein.

Viele Mieter dürften erst noch informiert werden

Der Mieterinnen- und Mieterverband hat in den ersten drei Juniwochen rund 1300 Beratungsanfragen zu Mietzinserhöhungen erhalten. Die Zahl der Telefonanrufe hat sich auf 1100 pro Woche mehr als verdoppelt. Das Zürcher Büro hat derzeit tagsüber vier Telefonleitungen offen, aber das reiche nicht, sagt Angst. Es kommt zu langen Wartezeiten. Der Mieterverband hat deshalb zusätzlich Studierende eingestellt, die geschult worden sind. Bei Verzögerungen rät der Verband, schon vor der Beratung vorsorglich eine Anfechtung einzureichen. Zurückziehen können man diese jederzeit und ohne Kosten.

Walter Angst rechnet mit einer zweiten Welle von Mietzinserhöhungen ab dem 10. Juli – dann könnten viele grosse Verwaltungen nachziehen, welche die Miete per 1. November anheben wollen.