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Hundeflüsterin im Interview
«Manchmal muss ein Tier mit Psycho­pharmaka unterstützt werden»

Maya Bräm (mit ihrem Hund Pino), der Tierärztin und Verhaltenstherapeutin am Tierspital Zürich.
Zürich, 24.8.2023
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Frau Bräm, benötigen Hunde eine Psychiaterin?

Ja. Warum auch nicht? Hunde haben eine ähnliche Gehirnanatomie, ähnliche Hirnfunktionen und ähnliche Botenstoffe wie wir Menschen. Da sie über vergleichbare kognitive und emotionale Verarbeitungsmechanismen verfügen, können auch Hunde unter psychischen Erkrankungen leiden.

Die da wären?

Tiere können theoretisch an allen psychischen Erkrankungen leiden wie auch Menschen. Beispielsweise an Depression, Angst- oder Zwangsstörungen oder an einer Posttraumatischen Stressstörung.

Reden wir hier nicht über Luxusprobleme?

Sind nicht die meisten Probleme, die wir in der westlichen Welt haben, Luxusprobleme?

Wie diagnostizieren Sie Verhaltungsstörungen bei einem Hund?

Letztlich kann ich nie mit 100-prozentiger Sicherheit beurteilen, warum sich ein Tier so verhält, wie es dies tut. Aber ich kann Hypothesen erstellen und zusammen mit den Besitzern beobachten, wie dieses auf Therapieansätze anspricht. So wissen wir, ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Diese Therapieansätze beinhalten auch Medikamente?

Ja, manchmal muss ein Tier mit pflanzlichen Mitteln oder auch mit Psychopharmaka unterstützt werden. Auf diese Weise kann beispielsweise eine gewisse Grundängstlichkeit so weit gemildert werden, dass es überhaupt möglich wird, neue Verhaltensmuster zu lernen. Aber natürlich entscheiden die Besitzer, ob sie das auch möchten.

«Tiere haben einen Grund, weshalb sie sich so verhalten, wie sie es tun.»

Die Psyche eines Tieres wird heute also ernst genommen?

Ja, jedoch ist dieser Zweig der Tiermedizin noch sehr jung. Doch durch verschiedene Forschungen verstehen wir heute mehr darüber, was in einem Tier vorgeht. Bei meiner Arbeit ist mir ein ganzheitlicher Ansatz, der auf Wertschätzung und Respekt beruht, wichtig. Ich verzichte bewusst auf sogenannt aversive Methoden.

Was sind «aversive Methoden»?

Erziehungsmassnahmen, die Stress, Angst oder Schmerzen hervorrufen. Mit dem heutigen Wissen, das wir über die Emotionen und die Intelligenz von Tieren haben, gibt es keine Rechtfertigung dafür. Tiere haben einen Grund, weshalb sie sich so verhalten, wie sie es tun. Es liegt an uns, herauszufinden, weshalb, und sie dabei zu unterstützen, besser mit Stresssituationen umgehen zu können. Mit positiven Anreizen lässt sich das längerfristige Verhalten ebenso beeinflussen, aber auf eine freundlichere und respektvollere Art.

Und was wäre für einen Hund ein solch positives Erlebnis?

Das ist sehr individuell: alles, was bei dem Tier zu positiven Emotionen, einem erhöhten Sicherheitsgefühl und Vertrauen führt. Das kann beispielsweise sein, dass dem Hund mitgeteilt wird, was von ihm erwartet wird. Und dass er dann für sein gutes Verhalten mit einem Gutzi belohnt wird. Beispielsweise, wenn er ruhig sitzen bleibt, wenn es an der Tür klingelt.

«Nicht jedes Schlecken und Kratzen ist ein nervöser Tick, der psychisch behandelt werden muss.»

Auf welchem Weg finden therapiebedürftige Tiere zu Ihnen?

Ich werde angefragt, wenn Tierärzte und Tiertrainer bei ihrer Arbeit nicht weiterkommen. Bei psychischen Auffälligkeiten muss zudem immer medizinisch abgeklärt werden, ob auch eine Schmerz- oder eine andere Krankheitskomponente für das Verhalten verantwortlich ist. Nicht jedes unablässige Schlecken und Kratzen des Fells und der Pfoten ist ein nervöser Tick, der psychisch behandelt werden muss. Es kann genauso gut ein Hautproblem, ein Schmerz oder ein Parasitenbefall dahinterstecken.

Wo behandeln Sie Ihre tierischen Patienten?

Ich bin in einem Teilzeitpensum am Universitären Tierspital Zürich angestellt und betreibe auch eine Privatpraxis. Da viele Kunden den Wunsch haben, dass ich ihr Tier in der gewohnten heimischen Umgebung untersuche und beobachte, mache ich häufig Hausbesuche. Danach schlage ich den Besitzern verschiedene Therapie- und Verhaltensansätze und Umweltveränderungen vor. Dies unter anderem mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen Mensch und Tier zu verbessern.

Wo liegen diesbezüglich die grössten Probleme?

Die Menschen erwarten, dass ihr Hund automatisch versteht, was von ihm erwartet wird. Umgekehrt verstehen viele Besitzer nicht, was ihnen das Tier mitteilen will. Ein klassischer Fall von Misskommunikation, welche in vielen Fällen zu Stresssituationen führt. Aber nicht jedes Fehlverhalten des Hundes hängt mit seiner Erziehung oder der Kommunikation zusammen, auch Tiere leiden an psychischen Erkrankungen.

Maya Bräm (mit ihrem Hund Pino), der Tierärztin und Verhaltenstherapeutin am Tierspital Zürich.
Zürich, 24.8.2023

Was macht einen intelligenten Hund aus?

Intelligente Hunde sind oft eine Herausforderung für ihre Besitzer. Sie können auf der kognitiven Ebene sehr schnell Verknüpfungen herstellen. Das kann beim Lernen von neuem und erwünschtem Verhalten positiv sein. Schwieriger wird es bei «Fehlverknüpfungen», weil das Tier zwar schnell lernt, aber nicht die Verbindung macht, die wir möchten.

Und wann gilt ein Hund als impulsiv?

Impulsive Hunde haben die Tendenz zu handeln, bevor sie «denken». Diese kann man bis zu einem gewissen Grad trainieren, aber wenn Impulsivität ein Persönlichkeitsmerkmal ist, bleibt sie als Grundveranlagung bestehen.

Ihr Spezialgebiet sind hochsensible Tiere. Was versteht man generell unter Hochsensibilität?

Hochsensibilität wird leider häufig mit einer psychischen Erkrankung gleichgesetzt. Das ist aber nicht so. Es handelt sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich durch einen «feineren Filter» auszeichnet. Die Humanforscherin Elaine Aron hat in den 1990er-Jahren die vier Hauptcharakteristika beschrieben: tiefgründige Verarbeitung, Überstimulierung, emotionale Intensität und sensorische Sensibilität. Im Rahmen einer Studie, die am Tierspital Bern durchgeführt wurde, konnten meine Kollegen und ich zeigen, dass Hochsensibilität auch bei Hunden vorkommt.

Wie äussert sich dies im Alltag?

Hochsensible Hunde benötigen mehr Zeit, um Informationen zu verarbeiten und zu verstehen. Wenn dies nicht gelingt, können Frustration und Überforderung die Folge sein. Sie empfinden sowohl positive wie auch negative Stimmungen sehr intensiv und reagieren auch auf die Emotionen ihres Umfelds mit Empathie. So bemerken sie auch kleinste Details mit allen Sinnesorganen, wobei dies individuell ausgeprägt sein kann.

«Impulsive Hunde haben die Tendenz zu handeln, bevor sie ‹denken›.»

Ein Hund kann also, bildlich gesprochen, ein dickes oder ein dünnes Fell haben?

Die Persönlichkeitsstruktur eines Tieres ist so viel vielfältiger, als dies lange Zeit vermutet wurde. Genau wie bei uns Menschen gibt es somit höher sensible oder weniger hoch sensible Zeitgenossen. Wie bei allen Persönlichkeitsmerkmalen wird eine genetische Veranlagung vermutet – hierzu fehlen allerdings bei Tieren noch wissenschaftliche Studien.

Gibt es Hochsensibilität auch bei anderen Tieren?

Im Prinzip ist es sehr wahrscheinlich, dass es sie bei allen Tieren gibt. Ich behandle ja auch Katzen. Aktuell begleite ich eine neu startende Studie zu Hochsensibilität bei Pferden im Schweizer Nationalgestüt in Avenches, die auf der Arbeit bei Menschen und unserer Studie mit Hunden aufbaut. Das wird spannend.

Gibt es allgemeingültige Ratschläge, was einem hochsensiblen Hund guttut?

Weniger ist mehr. Also kürzere Spaziergänge, weniger Herumtollen mit anderen Hunden. Dafür mehr Ruhe und Entspannung. Streicheleinheiten, Massagen oder auch nur körperliche Nähe. Der hochsensible Hund erlebt seinen Alltag gewissermassen im Schnellzugtempo. Das Umsteigen in den Bummelzug wird nicht nur ihm, sondern auch seinen Besitzern guttun.