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Raus aus der Schmuddelecke
HSG-Absolventin mischt die Pornoindustrie auf

Ästhetik bedeutet nicht, dass es nicht zur Sache geht: Szene vom Portal Cheex.
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Auf den ersten Blick hat der Job keinen besonders aufregenden Namen: Content Researcher. Doch das junge Berliner Unternehmen Cheex kann sich jedes Mal vor Bewerberinnen und Bewerbern kaum retten, wenn es die Stelle neu besetzen muss. Das liegt daran, welchen Content man bei Cheex suchen muss, beziehungsweise darf: Pornos. «Most wanted Stelle des Internets», sagt Cheex-Gründerin Denise Kratzenberg.

Cheex ist eine Online-Plattform für Pornografie, die sich nicht nur, aber vor allem an Frauen richtet. Kratzenberg hat das Start-up im vergangenen Jahr zusammen mit ihrem Co-Gründer Maximilian Horwitz ins Leben gerufen – zur Überraschung von Freunden und Familie, die die ehemalige Verlagsmanagerin und Rechnungswesen-Studentin der Universität St. Gallen (HSG) nicht in der Erotikbranche verortet hätten.

«Ich wollte einfach etwas Sinnvolles machen», sagt die 34-Jährige. «Es gibt so einen grossen Bedarf, die sexuelle Stimulation gerade von Frauen zu enttabuisieren.» Anfangs hat sie selbst das Internet nach passenden Inhalten durchsucht. «Da habe ich viel gesehen, das ich lieber nicht gesehen hätte», erzählt sie. Das ist nun die Aufgabe der Content Researcher.

«Die meisten Frauen finden Pornos nicht authentisch, irgendwie schmuddelig, und sie haben auch Angst, sich Viren auf den Computer zu holen.»

Denise Kratzenberg, Cheex-Gründerin

Pornografie im Internet ist ein riesiges Geschäft. Laut verschiedenen Schätzungen schauen zwischen 80 und 100 Prozent aller Männer Pornos, auch die Zahl der Zuschauerinnen wächst. Eine Studie geht von einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 35 Milliarden Dollar aus, andere schätzen ihn sogar auf noch mehr. «Adult Entertainment» insgesamt soll sogar auf 93 Milliarden Dollar kommen. Konkrete Zahlen sind nicht zu ermitteln, weil die Unternehmen der Branche keine Angaben machen und teilweise in einer legalen Grauzone arbeiten.

Auf Pornhub, dem Marktführer, schauen Menschen im Jahr mehr als 100 Milliarden Videos. Doch sehr viele der Angebote sind auf Männer und ihre Vorlieben zugeschnitten. «Es ist definitiv ein Trend, dass Frauen sich mehr für Sexualität interessieren und darüber sprechen», sagt Kratzenberg. «Aber Pornos finden die meisten nicht authentisch, irgendwie schmuddelig, und sie haben auch Angst, sich Viren auf den Computer zu holen.»

Spielzeug im Salat

Cheex will ein Gegenentwurf sein, eine sichere Anlaufstelle ohne Werbung, ohne Viren und mit Videos, Podcasts, Hörspielen und Infomaterial, die einvernehmlichen und ästhetischen Sex zeigen – wobei «Ästhetik» nicht bedeutet, dass es nicht zur Sache geht. Es soll für jeden Geschmack etwas dabei sein. Auch Männer und non-binäre Menschen seien natürlich willkommen. «Ich finde es selbst spannend, Mäuschen zu spielen bei anderen Paaren», sagt Kratzenberg.

In einem Video hat ein Paar zusammengegessen und sich unterhalten, und dann war ein Sexspielzeug im Salat versteckt, erzählt sie. «Ich mag das, wenn man sieht, dass sich die Darsteller auch im richtigen Leben lieben.» Cheex garantiert, dass Darstellerinnen und Darsteller fair behandelt und bezahlt werden. Die Firma arbeitet oft direkt mit ihnen zusammen und lässt sie exklusiv für Cheex produzieren, das spart auch Kosten. «Und man sieht, dass die Performer und Performerinnen Freude daran haben.»

Gelernt hat sie in St. Gallen: Cheex-Gründerin Kratzenberg

30’000 Abonnentinnen und Abonnenten hat das Unternehmen bereits, zum Jahresende sollen es 100’000 sein. Rund 70 Prozent davon sind Frauen. Sie kommen aus 157 Ländern und zahlen im Monat 8,90 Euro, also circa 10 Franken – so kommt Cheex bereits auf einen nennenswerten Umsatz. Nächstes Jahr sei bereits der Break-even möglich, sagt Kratzenberg, dann würde die Firma also kein Geld mehr verbrennen.

Cheex ist nicht allein im Geschäft mit Sexualität jenseits der Schmuddelecke. Mehr und mehr Start-ups nehmen sich des Themas der weiblichen – oder genauer gesagt: der nicht-männlichen – Sexualität an. Darunter ist die Plattform Bellesa. Die amerikanische Gründerin Michelle Shnaidman hatte die frauenfeindliche Darstellung in Mainstream-Pornos satt. Meistens sind es übrigens Frauen, die die Start-ups gründeten.

Angel Investors sind gefragt

Doch neben all den Erfolgsgeschichten gibt es auch etliche Sex-Start-ups, die sich nicht durchsetzen konnten – meist ist der Geldmangel der Grund. Auch für Cheex war es nicht leicht, an Startkapital zu kommen, obwohl Investoren eigentlich stets Produkte suchen, für die es viele Kunden gibt – und der Internetporno-Markt könnte grösser kaum sein. Doch die meisten institutionellen Wagniskapitalgeber schliessen Geschäfte mit Pornografie in ihren Statuten aus. «Und bei Hausbanken sind wir fast ein bisschen ausgelacht worden», sagt Kratzenberg.

Doch Cheex gelang es, Privatleute zu finden, sogenannte Angel Investors. Gerade hat das Unternehmen eine neue Finanzierungsrunde abgeschlossen und eine siebenstellige Summe eingesammelt. Das neue Kapital werde mindestens bis zum kommenden Jahr reichen, glaubt Kratzenberg. Und bis dahin tue sich hoffentlich etwas bei den Wagniskapitalgebern. «Sie öffnen sich langsam, schliesslich können sie Sexualität und das wirtschaftliche Potential nicht einfach ausblenden.»