Gastbeitrag zur AussenpolitikHommage an die Schweizer Neutralität
Im Bereich der Guten Dienste vermag die Schweiz einen grossen Beitrag zur globalen Friedensförderung zu leisten. Das dürfen wir nicht leichtfertig aus der Hand geben.
Die Schweiz verfügt wie kein anderes Land über eine jahrhundertelang gelebte Neutralität. Diese glaubwürdig verankerte Neutralität hat es der Schweiz ermöglicht, in vielen internationalen Konflikten ihre Guten Dienste zur Verfügung zu stellen. Die aktuelle Weltlage zeigt auf dramatische Weise die Notwendigkeit für ein Land wie die Schweiz, das zwischen Kriegs- und Konfliktparteien vermitteln und eine Plattform für Verhandlungen bieten kann.
Trotzdem versuchen gewisse Kreise im Inland sowie ausländische Diplomaten, Druck auf die Schweiz auszuüben, damit sie sich vollumfänglich an Sanktionen gegen Russland beteiligt und Waffenlieferungen, wenn nicht direkt, dann mindestens indirekt, ermöglicht. Der Tenor dieser Neutralitätsverwässerer ist immer derselbe: Die Neutralität der Schweiz ist ein Auslaufmodell und muss überdacht werden. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden sicherheits- und aussenpolitischen Gleichschaltung von EU und europäischem Arm der Nato werden die Rufe nach einer «Relativierung der Neutralität» zugunsten eines falsch verstandenen Solidaritätsdenkens immer lauter. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
1. Die immerwährende, integrale und bewaffnete Neutralität ist absolut und auf den Ernstfall ausgerichtet. Sie kann nicht leichtfertig und nach Belieben aufgrund eines aktuellen Ereignisses modifiziert werden. So gibt es keine «Putin-Neutralität» oder Ähnliches. Die uns anlässlich des Wiener Kongresses auch mit dem Plazet von Russland garantierte immerwährende, integrale und bewaffnete Neutralität setzt gegenüber dem Ausland und unseren Partnern ein unmissverständliches Signal, dass wir langfristig verlässlich und ganzheitlich an unserer Neutralität festhalten und sie notfalls mit unserer Armee verteidigen werden.
Für einen neutralen Staat ist das Gut-böse-Denkschema ausser Kraft gesetzt.
2. Der Begriff der Neutralität bezieht sich grundsätzlich auf Kriege. In einem Krieg gibt es immer Angreifer und Verteidiger. Es ist somit intellektuell unredlich, in Bezug auf den Russland-Ukraine-Konflikt die Neutralität situativ zu relativieren oder gar zu schleifen, um sich einseitig gegen einen Angreifer zu positionieren. Für einen neutralen Staat ist das Gut-böse-Denkschema ausser Kraft gesetzt, was es ermöglicht, die Guten Dienste anzubieten. Dass Putin Artikel 51 der UNO-Charta für sich reklamiert, um einem anderen Verbündeten zu Hilfe zu eilen, ist völkerrechtlich möglicherweise gedeckt, sicher problematisch, aber dennoch nicht aussergewöhnlich: Auch China und die USA haben öfters auf diesen problematischen Artikel zurückgegriffen – Letztere, ohne dass es je zu einem Aufschrei gekommen wäre. In diesem Zusammenhang sollte gerade in einem neutralen Staat wie der Schweiz tunlichst darauf geachtet werden, keine Doppelmoral entstehen zu lassen.
3. Unsere Eliten wissen, dass die Neutralität im Volk tief verankert ist. Deshalb glauben sie, in heuchlerischer Art und Weise operieren zu müssen, indem sie gegen innen die Neutralität propagieren und gleichzeitig gegen aussen parteiisch auftreten. So hat der Bundesrat leichtfertig Hand geboten zu Sanktionen gegenüber Russland, so etwa zur Blockade von russischen Konten in der Schweiz. Das hat sowohl unserer Glaubwürdigkeit als auch unserem Wirtschaftsstandort massiv geschadet: So haben eine grössere Anzahl von Ausländern ihr Kapital aus der Schweiz abgezogen. Es ist durchaus legitim, über den Wert der Neutralität einen Diskurs zu führen. Dieser müsste jedoch unter Einbezug des Volks an der Urne geschehen.
4. Die bewaffnete Neutralität hat uns gerade im Zweiten Weltkrieg vor äusseren Aggressoren wirksam geschützt. Sie ist kein Auslaufmodell, wie manche uns glauben machen wollen, sondern ganz im Gegenteil ein Zukunftsmodell: Auf der Basis von Glaubwürdigkeit, Kontinuität, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sichern wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit gerade auch für die junge Generation. Unser Volk erwartet vom Bundesrat und von unseren Politikern keine Ausübung von Machtpolitik, sondern Schutz und die Sicherung unseres Wohlstands. Gerade dem Bundesrat obliegt die Pflicht, unsere Neutralitätspolitik in die Aussenpolitik zu integrieren und unsere Neutralität auf dem aussenpolitischen Parkett verständlich zu erklären. Im Bereich der Guten Dienste, der Aufnahme von Flüchtlingen – wie zurzeit aus der Ukraine – sowie umfassender Verhandlungsangebote vermag die Schweiz einen grossen Beitrag zur globalen Friedensförderung und Friedenssicherung zu leisten. Diesen Trumpf dürfen wir nicht leichtfertig aus der Hand geben.
Stephan Rietiker ist Präsident der Auns-Nachfolgeorganisation Pro Schweiz.
Fehler gefunden?Jetzt melden.