Kommentar zu Nato- und EU-GipfelHört auf die Osteuropäer
Zu lange haben die Westeuropäer den Kurs von EU und Nato gegenüber Russland bestimmt. Es ist höchste Zeit, die Warnungen von Balten und Polen ernst zu nehmen.
Es ist höchste Zeit, auf die Osteuropäer zu hören: Wladimir Putin dürfe seinen Krieg in der Ukraine nicht gewinnen, sagte Estlands Premierministerin Kaja Kallas am Donnerstag beim Doppelgipfel von Nato und EU in Brüssel. Der russische Präsident sei ein Kriegsverbrecher, bei dem der Appetit mit dem Essen komme.
Die grosse Sorge im Baltikum, in Polen oder auch Finnland ist nicht zuletzt durch einschlägige historische Erfahrungen begründet. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen nicht nur für die Freiheit ihres Landes. Setzen sich die russischen Streitkräfte durch oder kann Putin etwa nach einem Waffenstillstand und einem schmutzigen Deal einen Teil des Landes behalten, wären Balten und Polen als Nächste im russischen Visier. (Lesen Sie zum Thema auch die Baltikum-Reportage «Sind wir die Nächsten?».)
Eine Landverbindung für die russische Enklave Kaliningrad, eingeklemmt zwischen Polen und Litauen, dürfte ein nächstes Ziel sein. Während die Westeuropäer die Abhängigkeit vom russischen Gas zementiert haben und selbst nach der Annexion der Krim rasch wieder zur Tagesordnung übergingen, haben die Osteuropäer schon länger vor dem aggressiven Charakter des Regimes in Moskau gewarnt und leider recht bekommen.
Leider ist nicht ausgeschlossen, dass Moskau die Konfrontation mit der Nato sucht.
Der Ernst der Lage ist inzwischen allen bewusst: Der dreifache Gipfel von Nato, G-7-Staaten und EU mit US-Präsident Joe Biden war eine Demonstration der Geschlossenheit. EU und Nato wollen mit einer Mischung aus Sanktionen und militärischer Hilfe für die Ukraine Russland zum Rückzug zwingen.
Das doppelte Dilemma ist aber erkennbar. Sanktionen sollen Putins Regime zumindest mehr wehtun als europäischen Haushalten und Unternehmen. Deshalb wird es vorerst keinen Importstopp für russische Energie geben. Und die Nato-Staaten wollen die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern zwar verstärken, sich aber nicht in eine direkte Konfrontation mit Russland hineinziehen lassen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Diese Optionen hat der Westen noch im Konflikt mit Russland».)
Gut möglich ist allerdings, dass Putin den Westen zum nächsten Schritt zwingt, wenn er tatsächlich Gas und Öl nur noch gegen Rubel liefert oder den Vernichtungskrieg in der Ukraine weiter eskaliert lässt. Balten, Polen und auch Finnen hätten dann mit ihren Mahnungen einmal mehr recht behalten. Leider ist auch nicht ausgeschlossen, dass Moskau die Konfrontation mit der Nato sucht. Der Westen ist jedenfalls gewarnt.
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