Lazio Rom verliert AnschlussHöllenritt von Himmelblau
Lazio war dabei, italienischer Meister zu werden. Dann kam Corona, die Suspendierung der Serie A – und nun, nach dem Re-Start, passt nichts mehr zusammen.
Es war eine Szene wie ein Stillleben. In der 92. Minute des Spiels Lazio Rom gegen Sassuolo Calcio, 32. Spieltag der Serie A, am vergangenen Samstagabend im leeren Olympiastadion, zoomte der Fernsehsender Sky die Ersatzbank der Römer heran – nur kurz, zwei Sekunden. Da sah man einen ausgewechselten Spieler im Unterhemd, ohne Socken schon, hingefläzt zwischen leeren Wasserflaschen, die rechte Hand im Haar. Dahinter, sitzend, zwei Kameraden, einer mit leerem Blick, der andere am Handy.
Sassuolo hatte gerade das 2:1 erzielt, völlig verdient. Lazios dritte Niederlage in Folge war nur ein paar Minuten weg. Und da sassen und lagen sie also, zum unfreiwilligen Sinnbild gruppiert. Der Himmelssturz der Himmelblauen in einer einzigen Szene.
Lazio ist punktgleich mit Inter Mailand zwar noch Dritter, doch der Rückstand auf Leader Juventus Turin beträgt sechs Runden vor Saisonende schon acht Zähler, und dahinter lauert auch noch Verfolger Atalanta. In der Zeit vor dem Lockdown hatte Lazio in dieser Saison nur zweimal verloren gehabt, seit dem Re-Start nun schon viermal in sechs Spielen. «Scoppiati», titelte der römische «Corriere dello Sport», der sonst mit Kritik an den beiden Stadtvereinen Roms zurückhält. «Explodiert.»
Nach dem Spiel soll es in der Umkleidekabine Streit gegeben haben, keine Handgreiflichkeiten, aber verbale Abrechnungen. Bezeichnenderweise trugen sie sich zwischen Spielern und Mitgliedern des medizinischen Stabs, der Fitnesstrainer und dem Ernährungsberater zu. Man fragt sich nämlich ungläubig, wie diese spektakuläre Explosion möglich sein konnte, wo man doch endlich wieder einmal nahe dran gewesen war, Geschichte zu schreiben. Zwanzig Jahre nach dem letzten Titel.
Die Begeisterung ist verflogen
Vor dem Lockdown galt Lazio als bestes Team der Saison, selbstsicher sprudelnd. Es gewann auch Spiele, die schon verloren gewähnt waren. Einmal sogar elf Spiele in Folge. Der Spanier Luis Alberto gab endlich den Regisseur, der in ihm schlummerte. Der Serbe Sergej «Sergeant» Milinkovic-Savic, hoch gelobt und sehr teuer gehandelt, wurde mit Autorität seinem Spitznamen gerecht. Der Brasilianer Lucas Leiva fungierte als Stabilisator vor der Verteidigung.
Und Ciro Immobile, der Wanderstürmer und Ex-Dortmunder, war endlich bei sich angekommen, er traf so oft wie nie zuvor, er traf eigentlich immer. 29 Tore bisher, Anführer des Torschützenklassements mit einem Treffer mehr als Cristiano Ronaldo. Von Simone Inzaghi, dem Trainer Lazios, Bruder von «Pippo», hiess es, er sei prädestiniert für noch viel höhere Aufgaben – so begeisternd war das alles. Die Fans sahen sich entschädigt für viele mittelmässige Jahre.
Dann kam Corona. Als die Saison suspendiert wurde, lag Lazio nur einen Punkt hinter Juve. Clubpräsident Claudio Lotito drängte schon ganz zu Beginn des Lockdown auf eine schnelle Wiederaufnahme des Betriebs. Man wollte sich die seltene Chance nicht nehmen lassen, Pandemie hin oder her. Auf viele wirkte das pietätslos, aber Lotito liess sich nicht beirren. Als die Regierung dann Übungseinheiten zuliess, gehörte Lazio zu den ersten Mannschaften, die wieder trainierten. In Formello im Norden Roms, wo Lazio sein Trainingszentrum hat, sollen sie schon Partien drei gegen drei gespielt haben, als das aus Gründen der Abstandswahrung noch gar nicht gestattet gewesen wäre.
Seinen letzten Ernstkampf vor der Unterbrechung hatte Lazio am 29. Februar absolviert, gegen Bologna, 2:0. Am 24. Juni, also fast vier Monate später, kehrten die Römer zurück. Immer noch als Titelanwärter. Man verlor gegen Atalanta Bergamo, unglücklich: 2:3 nach einer 2:0-Führung.
Seitdem ist der Sprudel weg. Immobile trifft kaum mehr und sagt, er erkenne sich selbst nicht wieder. Alle wirken sie müde, ausgepumpt, mittlerweile auch desillusioniert. Patric, der rechte Aussenverteidiger aus Spanien, liess sich im Spiel gegen Lecce dazu hinreissen, einem Gegenspieler in den Oberarm zu beissen. Auch davon gab es am Fernsehen Grossaufnahmen mit ordentlichem Sinnbildcharakter.
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Für Lazio rächt es sich, dass es nur auf wenigen Positionen valable Alternativen zu den Stammspielern hat. Leiva etwa sollte nach seinen Meniskusproblemen schon wieder spielen, obschon er sich noch überhaupt nicht bereit gefühlt hatte. In den ersten paar Begegnungen nach dem Re-Start verletzten sich gleich mehrere Spieler. Inzaghi blieb keine Wahl, er musste immer dieselben aufbieten, fürs Rotieren fehlte es an passendem Personal. Die Spieler aus dem Nachwuchs, sagte er, seien nicht auf der Höhe, sonst würde er sie spielen lassen. Und so schauen nun alle vorwurfsvoll auf Konditionstrainer und Ernährungsberater. Irgendwer muss ja verantwortlich sein für dieses epische Desaster.
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